Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
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Quelle heure est-il?

   September 1973 (dreissig Jahre ist’s schon her!): Kollege Brauer von der ‚Deutschen Welle’ und ich fahren zur „Konferenz der Blockfreien“ nach Algier... weiß noch einer was das war? Die Blockfreien? Das waren Länder wie Jugoslawien, Indonesien, Algerien und viele andere, die weder zum Westen noch zum Osten gehören wollten. Versammelt waren da in Algier Leute wie Fidel Castro, Muammar Ghadafi, Suharto, und alle nur denkbaren Scheichs vom Golf. Ein wichtiges Thema also für unsere Abnehmer in den Runfunksendern und bei den Zeitungen.
     Ich selbst berichtete für die ‚NZZ’, ein eher geruhsamer Job. Kollege Brauer hingegen berichtete für den Funk, so auch für das frühmorgendliche Journal des RIAS, live auf Sender um 6.05 Uhr. 
     Weil wir 1.500 Journalisten mehrheitlich im ‚Centre Universitaire’ Algiers untergebracht waren, weil es noch keine Handies gab, und nur ein einziges Telephon allein im Wärterhäuschen im Eingang zur Studentenstadt, und weil Kollege Brauer keinen Wecker dabeihatte… übergab er abends spät seine Armbanduhr an den dortigen Wächter. Den musste ich in Französisch bitten, den Kollegen doch morgens um 5.45 zu wecken.
     „Exactement àcinq heures, quarante-cinq. C’est très important. »
     Antwort von Monsieur Fouad : « Oui, Monsieur. »
Und ‘bonne nuit’ dann.
     Am nächsten Morgen schlafe ICH aus. Begebe mich zur Cafeteria, wo ich einen völlig übernächtigten Kollegen Brauer treffe… was hat der bloss? Ist der krank? Hat der eine aus Schwarzafrika verschleppte Malaria? 
     Langsam, ganz langsam taut er auf, beginnt zu erzählen, wie kurz die Nacht gewesen sei. Ich verwundert: „Du hattest doch immerhin fast sechs Stunden Schlaf!“ Hatte er eben NICHT, denn der Kollege erzählt weiter: „Monsieur Fouad, ein verdienter Freiheitskämpfer der Algerischen Befreiungsfront FLN hat mich von Mitternacht bis morgens fünf halbstündlich geweckt…“ Wieso das und zu welchem Zwecke, bitte?
     Der Kollege prustet ermüdet los: „Nun ja, Monsieur Fouad hielt bei seinen halbstündlichen Besuchen jeweils meine Armbanduhr in der Hand, wies auf die, und bat mich jeweils, ihm doch zu sagen, wie viel Uhr es sei, ‚parce que, Monsieur, je ne sais pas lire la montre.“
     Schlimmes Versagen der Befreiungsbewegung, die dem Kämpfer Fouad zwar das Bedienen einer Kalashnikov nicht aber das ‚Lesen einer Armbanduhr“ beigebracht hatte.