Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
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„Eau Vive“  oder: Das belgisch-vietnamesisch-afrikanische Duftwässerchen


     Anfang der achtziger Jahre ‚fuhr‘ ich eine meiner live-Höreranruf-Sendungen für den WDR aus Burkinas Hauptstadt Ouagadougou. In diesen Sendungen konnten Hörer aus Aachen, Bad Godesberg oder Münster im Kölner Sender
anrufen und wurden dann per Satellit zu den Gästen im Studio in Afrika durch-verbunden. Thema dieses Mal: „Brunnen statt Kathedralen – Zur kirchlichen
Entwicklungshilfe“. In’s Studio des lokalen Rundfunk hatte ich – nach tagelanger Überzeugungsarbeit – eingeladen einen germanophonen burkinabischen Pfarrer, einen deutschen Missionar und zwei zivile Entwicklungshelfer.

     Für ‚nach der Sendung’ lud ich ins kircheneigene Restaurant „Eau Vive“ ein, damals das beste Restaurant am Orte. ‚Kircheneigen‘, weil das ‚Eau Vive’ oder ‚Wasser des Lebens‘ sich quasi in Kirchenbesitz befand, geführt von einem belgischen Ordensmann, der für diesen Zweck seinen eigenen Orden erfunden hatte, ‚geschmissen‘ von weißen Nonnen und – vor allem – bemannt, besser befraut von grazilen, langbeinigen Vietnamesinnen in aufregenden Slit-Skirts, hoch geschlitzten fußlangen Seidenröcken. Ein Sündenpfuhl in doppeltem Sinne: das Essen sündhaft gut und einigermaßen teuer, die Bedienung sündhaft erotisch.  
     Und mich ritt wieder einmal der Affe. Nein, nicht daß ich einer der Damen, angeblich ‚gefallene Mädchen aus dem an den Vietcong gefallenen Saigon‘, wie kolportiert wurde,  nachgestellt hätte. Nein, bei Tische ließ ich lediglich - heimlich - ein Tonbandgerät mitlaufen. So vor allem, als die Schwester Oberin, wie jeden Abend üblich, Punkt 22.00 Uhr Heiligenbildchen an die beim Dessert befindlichen Gäste aushändigte und die Völler im Lokal zum Mitsingen einlud. Und dann erschallte aus vollem, rotwein-beseeltem Halse das alte französische Kirchenlied: „La Vieer-ge Marie-e...“ usw.

     Ich hatte vor, für den WDR eine Sendung über dieses hervorragende aber doch etwas zweifelhafte Unternehmen, von dem sich der einheimische schwarze Kardinal angeblich distanzierte, zu machen. Die - leicht dubiose - Reputation dieses Etablissements war angeblich bereits bis Rom gedrungen! Für meine Sendung aber brauchte ich neben dem O-Ton vom Gesang noch ein Interview mit der Schwester Oberin, die ich deshalb nach dem Absingen der ‚Viierge Mari-e“ an unsern Tisch bat. Als ich ihr aber eröffnete, daß ich nun ‚nur noch Ihre Stimme zum bereits aufgenommenen O-Ton brauche‘, da schnappte sie ein, brachte sofort die ‚dolorosa‘, die Schmerzensreiche oder auch die Rechnung
und verkündete, daß das Lokal bald geschlossen werde. Ich bekam meinen ‚O-TOn’ nicht und quasi Lokalverbot.

     Künftig blieb mir nur noch die Dépendance des Eau Vive‘ im fast 400 Kilometer entfernte Bobo-Dioulasso.