Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
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Mali oder der Afro-Sozialismus lockt - 1967

     1967 ging ich als vermutlich 3. oder 4. ‚coopérant’ im Auftrag des Bundespresseamtes. Mehrere meiner Vorgänger waren dort nach wenigen Wochen aus verschiedenen Gründen gescheitert: einer meiner Vorgänger, vermutlich eher ein Agent des BND, war gescheitert, weil er nach vier Wochen Aufenthalt vor Ort entdeckt hatte, dass man im Staat Mali Französisch sprach, das er nicht beherrschte. 
     Dem Manne hat der amerikanische Erfolgsautor Paul Theroux (‚Moskito Coast’ und v.a.m.), in seiner (frühen) Autobiographie ein Denkmal gesetzt. Pauli Theroux nämlich sammelte seine erste Auslandserfahrung als Peace-Corpsler in Malawi. Eine Erfahrung war die seiner Anwerbung durch einen meiner Vorgänger für - wie Theroux schreibt - „gut honorierte politische Berichte über sein Gastland“, wie Theroux vermutet für den deutschen Auslandsgeheimdienst... BND.
     Im Gegensatz zu diesem Vorgänger aber war ich des Französischen mächtig. Und in das mir bis dahin völlig unbekannte Mali ging ich aus Neugier und weil man dort unter Modibo Keita eine afrikanische Version des Sozialismus versuchte. Mein Urproblem vor Ort war aber nicht etwa der dort damals herrschende Afro-Stalinismus und die auch dort grassierende Bespitzelung von Ausländern, bei der die STASI personell beratend tätig war. Es war vielmehr die geradezu höllisch-vergnügte Erwartung meiner malischen Kollegen, mich angesichts der massiven Präsenz von gleich vier französischen Entwicklungshelfern im Radio scheitern zu sehen! Meine malischen Kollegen sollten enttäuscht werden: die deutsch-französische Kooperation lief bestens.


Doch als kalter Krieger in Afrika? und ein DDR-ler namens Johnny…

     Ach ja: im malischen Rundfunk gab es nicht nur die französischen ‚Coopérants’ sondern auch noch einen deutschen, einen „von der anderen Seite“ eben, den DDRler Klein mit dem undeutschen Vornamen Johnny. Der kam von ‚Radio Berlin International’, dem kaltkriegerischen Widersacher meiner Deutschen Welle in Köln. Und Johnny war an einem neuralgischen Punkt von Radio Mali tätig: in der Nachrichtenabteilung. Und so stellte ich mir allmählich die Frage: bin ich nun auf den angesetzt worden oder nicht? 
     Egal wie mein Auftraggeber Bundespresseamt, mein Gehaltszahler GAWI (später GTZ) dies auch insgeheim gesehen haben mochten, ich sah es nicht so, ließ Johnny
gewähren und machte vergnügt meinen Job. 
     Vergnügt-belustigt ob Johnnys Dauerangewohnheit, immer mal wieder Nachrichten der DDR-Agentur ADN in die ansonsten von den westlichen Nachrichtenagenturen afp und Reuters stammenden Weltnachrichten zu mogeln, was ihm gelegentlich sogar die sozialistischen Malier krumm nahmen. 
     Doch mit Johnny gab es eigentlich keine Probleme, dieweil ich ja ich im ‚Programm’ tätig war, also Feature und Hintergrunder verfasste - statt Malier auszubilden, wie es eigentlich mein Kontrakt vorsah. Johnny aber hatte ganz ohne mein Zutun genug eigene Probleme. Wie alle DDR-ler hatte er zunächst einmal herzlich wenig Geld, vor allem keine Devisen, während ich für mein Alter und meine Erfahrung völlig überbezahlt war. Und weil Johnny finanziell so schlecht dastand, sah seine malische Ehefrau ihre Aufgabe unter anderem darin, die schmale Haushaltskasse auch mal schon durch körperliche Dienstleistungen bei vermögenderen Westlern aufzubessern... bis sie ihren Johnny schließlich ganz sitzen ließ. 
 

Den 20. der DDR in Afrika feiern

    Nun gut, es gab also doch einige kleine Probleme mit Johnny bis zu seinem Weggang einige Monate nach dem Ende des malischen Sozialismus Ende 1968, also eigentlich nur dreimal. Das erste Mal zum 20. Jahrestag der DDR. Zu dieser Zeit monopolisierte der weiße deutsche coopérant inzwischen allsonntäglich von 13.00 bis 18.00 Uhr eine ziemlich respektlose, satirische 5-Stunden-Live-Sendung - Titel „Sonntags-Durcheinander“. In der verlas der diensthabende Nachrichten-Redakteur Johnny stündlich die Weltnachrichten. Und in die mogelte er in dieser Zeit immer wieder ADN-Nachrichten zum 20. Jahrestag der DDR. 
     Nach der dritten Mogelpackung bat ich ihn schließlich, doch nach den nächsten Nachrichten im Studio zu bleiben, um mir live „und so richtig schön bunt“ etwas über die Vorbereitungen zu den Festlichkeiten in Ost-Berlin zu erzählen. Und was macht Johnny? Er vermutet miss, sieht in dieser Einladung eine ‚Hinterhältigkeit des Westlers’ und beschwert sich beim malischen Direktor. Der aber sah Johnny nur verständnislos an: „Wenn Gerard Le Meilleur doch einlädt...“  

 
Der Kollege von ADN wundert sich…

     Gänzlich verwundert war Johnny dann, als er mich bei einem Empfang zum DDR-Jahrestag wahrnahm: ich war vom Kollegen Kirsch von der DDR-Agentur ADN eingeladen worden. Willy Brandts beginnende Ostpolitik machte es möglich! Klammer zeitlich nach vorne auf: Diesen Kollegen Kirsch sollte ich übrigens sieben Jahre später bei den Unabhängigkeitsfeiern in Mosambik wiedersehen. 
     Dieses Mal zeigte sich der verwundert, als er nämlich mitansehen musste wie mich der damalige Vizepräsident Marcelino dos Santos beim Mitternachtsempfang im Gouverneurspalast mit dem typischen Genossen-Abrazzo begrüßte. Kollege Kirsch anschließend überrascht. „Wieso bietet der Genosse dos Santos gerade einem imperialistischen Journalisten diese Umarmung an?“ Antwort: „Kollege, die Antwort ist einfach. Den kenne ich schon länger. Vom Pan-African Festival“ in Algier 1969 und von seinen frustrierenden Besuchen in Bonn. Du wirst dich erinnern: die damalige SPD-Regierung hatte der FRELIMO als Gegenstück zu den NATO-Waffenlieferungen an den Partner Portugal stets Verbandszeug angeboten und darüber habe ich wortgetreu, nein mit wörtlichem Interview in der imperialistischen Deutschen Welle berichtet! Das fand Marcelino gut.


Afrikanische Manieren

     Und mit Zeitparanthese wieder zurück zu Johnny und dem dritten Clash mit ihm. So richtig daneben aber langte Johnny bei seiner Abschiedsfeier für die malischen Kollegen im ‚Buffet de le Gare’ von Bamako. Da spielte damals übrigens ein gänzlich unbekannter Albino-Musiker namens Salif Keita... 
     Seinen Abschied vom malischen Rundfunk nämlich garnierte Johnny mit einem so genannten DDR-Dokumentarfilm. In dem wurden in Schnitzler-Manier Konrad Adenauer und andere westdeutsche Politiker in schönster Agitpropmanier als ‚Kriegstreiber’ dargestellt. Zur Feierlichkeit trug ich ein rotes T-Short mit dem Konterfei des Che und begrüßte die malischen Kollegen kalauerhaft mit „ANI-TCHEE“, was auf Bambara soviel wie Danke heißt. Derart aufgelegt goutierte ich den Streifen als DDR-Propaganda, die ich ja so noch nie gesehen hatte. Johnny aber wurde anschließend vom Direktor des malischen Rundfunks vor versammelter Mannschaft abgebürstet: „Johnny: das macht man einfach nicht! Du bist hier ebenso
Gast wie Gerd, und da beleidigt man nicht dessen Regierung. Jetzt musst du dich beim Le Meilleur entschuldigen!“ 
     Ich winkte ab. War doch interessant gewesen. Und die malischen Kollegen hatten sich köstlich amüsiert, erinnerten sie Johnny Film doch mächtig an die Propagandafilme des vor wenigen Monaten gestürzten Regimes, das seine Wochenschau im fernen Jugoslawien produzieren liess.!“
 

     Und wieder ein Sprung: Als ich mehr als zwanzig Jahre später im Herbst 1991 mit Chris als Goethe-Direktorin ins abessinische Addis Abeba ging, wurde dort gerade die DDR-Botschaft abgewickelt. Chris, die dringend einen Safe fürs Institut braucht, erwirbt kostengünstig vom bundesdeutschen Abwickler der DDR-Botschaft einen volkseigenes Safe-Ungetüm. Die DDR-eigenen Propagandastreifen aber bekam sie kostenlos ins Institut gekippt... wir nahmen uns vor, uns wenigstens einige dieser Streifen anzusehen, wozu es dann aber nie kam.  


Bundesrepublik Deutschland und die "Allemagne Automatique"

     Die damalige ‚deutsche Exzellenz’, Bonns Botschafter vor Ort in Malis Hauptstadt Bamako war schon eine besondere Nummer, hoch intelligent, engagiert und ein wahrer Witzbold. Regelmäßig lieferte im die malische Post Korrespondenz, die an die Botschaft der ‚Allemagne AUTOMATIQUE’ (statt ‚démocratique’) gerichtet war. Die war also für den ‚Genossen Botschafter’ aus Berlin-Ost bestimmt. Weshalb die westdeutsche Exzellenz ihren Fahrer den Stander aufstecken und mitsamt Post zur DDR-Botschaft fahren ließ, wo der dann die fehlgelaufene Post mit
besten Grüßen aus Bonn aushändigen ließ. Von DDR-Seite kam nie ein Danke zurück, doch unsere’ Exzellenz genoss die regelmäßige Postaushändigung an den ‚Kollegen’.


Wenn der Präsident dem deutschen Olympioniken lauscht...
Oder: « La Voix de Modibo a sonné le salut... »

     In den Monaten zuvor aber hatte es noch drei wichtige Ereignisse gegeben, wobei mir die genaue zeitliche Abfolge entfallen ist: da war einmal die Olympiade von Mexiko. 
     Der Sport war bei Radio Mali üblicherweise die Domäne des französischen coopérant Jean-Claude de Thandt, inzwischen mein bester Freund im Funk. Der aber war auf eigene Faust zur Olympiade in Mexiko gereist, um von dort für den Transkriptionsdienst des franz. Rundfunks zu berichten. Und weil der nun nicht für die Sportberichterstattung zur Verfügung stand, würde die Olympiade wohl nur durch das Verlesen trockener Agentur-Meldungen stattfinden. Musste nicht sein, da uns die OCORA, das neo-koloniale ‚Office de la Coopération Radiophonique’ in Paris doch tagtäglich mit gleich zwei so genannten ‚monitorings’ beglückte: jeweils 45.00 Minuten Interviews  und Reportagen direkt aus Mexiko. 
     Obwohl ich bis heute nicht weiß, was ein „Abseits“ ist oder welche Disziplinen zum Zehnkampf gehören, bot ich dem Direktor an, tägliche eine einstündige Sondersendung zu Olympia zu machen. Ich bekam das Okay, nahm eine fetzige amerikanische Musik - ich denke, es war Canonball Adderleys „Make it real compared to what!“ - machte die zu einem deutlich erkennbaren Jingle und harrte der Pariser Monitorings. Dann bastelte ich vom frühen Nachmittag an der all-abendlichen Sport-Sonder-Sendung, die jeweils nach den damals noch ‚sozialistischen’ Abendnachrichten lief. 
     Hörer riefen zuhauf an, schrieben mir Karten und Briefe. Wenige Tage nach dem Ende der Olympiade kam dann der Putsch der  Militärs gegen den Sozialisten Modibo Keita. Und Kollege Touré - der die Gewohnheit hatte, seine sündhafte teure NAGRA-Tonbandmaschine immer mal wieder auf nächtlich-galanten Touren zu vergessen, von wo sie stets brav wieder in den Funk gebracht wurde - hatte noch eine Story parat: ‚Meilleur, du hast in den letzten Wochen jeden Abend einen prominenten Zuhörer gehabt. Der hat dich jeden Abend gehört, und mich hat er gefragt: wer ist denn dieser Coopérant mit dem seltsamen Akzent in unserem Rundfunk? 
     Der Hörer war der gestürzte Präsident Modibo Keita, der meine Sendung zur Olympiade auf seiner letzten Tournee durchs Land jeden Abend ‚religiös’ gehört habe.    
      Es muss also vor der Olympiade gewesen sein: der Einmarsch der Soviets in die CSSR und die Tatsache, dass sich das bitterarme afrikanische Satellitenland Mali auf die Seite der Invasoren geschlagen hatte. Wir Westler machten aus unserer Empörung trotz Miliz und Bespitzelung allerdings keinen Hehl, diskutierten lautstark, zumal just zu dieser Zeit zufälligerweise gerade der ‚erste westdeutsche Kreminologe’ Prof. Klaus Mehnert (mein gewesener Doktorvater von der Techn. Hochschule Aachen) als Mitherausgeber von und Autor für ‚Christ und Welt’ in Mali zu Besuch war; ebenso wie mein alter Freund Dr. David Dalby, damals Direktor des Londoner ‚Institute of African Studies’. Die heißen Diskussionen mit einigen malischen Chef-Ideologen im Hause Meuer blieben allerdings vor Ort ohne Folgen. Die diskutierfreudigen malischen Griots hatten eben ihre Diskurs-Kultur noch nicht verloren.


Wie ich auf Gagarin „nachrief“

     Vermutlich noch früher lag ein anderes Ereignis: der tödliche Absturz des ersten Menschen im All, Juri Gagarin. Morgens melden die Agenturen seinen Absturz. Kurze
Zeit später bittet der Rundfunkdirektor - einer der Chef-Ideologen der Partei - ausgerechnet mich, den Westdeutschen, für den Abend eine Sondersendung zu machen. 
     Aber woher Material nehmen, wenn das Rundfunk-Archiv eines bitterarmen Rundfunks in einem bitteramen Sahelland nichts hergibt? Doch Hilfe kann nicht fern sein: die sovietische Presse ist ja im armen, damals noch sozialistischen Bruderland Mali mit gleich vier Korrespondenten vertreten. Also Rundreise durch die Kleinstadt Bamako, erst zum (KGB)-Kollegen von NOVOSTI, der hat angeblich kein Material. Auch die Kollegen von Pravda, Iswestija - sie alle können mir nichts anbieten. Vielleicht der Kollege von Radio Moskau? 
     Der ist immerhin der befreundete Kollege; der legte sich, weil russischer Jude im Hause Meuer beim Diner stets gerne mit einem anderen guten Freund von der algerischen Botschaft in Sachen Israel und Antisemitismus an. Nein, auch der hatte nichts zu bieten - vielleicht deshalb, weil er seine Tonbänder von Radio Moskau eher mit Jazz bespielte, dieweil er allwöchentlich ganze leere Johnny-Walker-Kisten mit gleich Dutzenden meiner Jazzplatten zum Kopieren mit nachhause nahm. 
     Weil die gesamte Soviet-Journaille nichts zu Gagarin zu bieten hat, verfalle ich auf die Idee, es einmal bei der Gegenseite zu versuchen. Also auf zu den Amis und die Frage, ob sie denn vielleicht etwas zum so gefürchteten ‚Soviet Space Effort’ hätten? Ja sagt der Chef des United States Information Service, USIS und zieht mir eine pralle Hängemappe aus dem Schrank - bitte zurückgeben! 
     Diese Mappe habe ich dann gerade noch für die so genannte ‚continuity’, meiner Moderation gebraucht... denn am späten Nachmittag kam aus Paris ein Sonder-Monitoring mit massig O-Tönen zur sovietischen Raumfahrt. 
     Dank Pariser Archiv und französischer Vorarbeit konnte ich dann eine stellare Sondersendung erstellen. Ich konnte es mir nicht verkneifen, die sovietischen Kollegen zu befragen, wie sie die denn gefunden hätten, da das Material „von den Amis und den Franzosen gekommen“ sei. „Ooch, ganz gut...“ meinten die dann säuerlich. Mein malischer (sozialistischer) Direktor, dem ich von meinen negativen Erfahrungen mit den sovietischen Kollegen berichtete, fand es „wieder einmal typisch für diese Sozialisten“.


Ein Wörterbuch für Soviets… sovietische Zähne für den Westler

     Nein, unter den sovietischen Kollegen machte ich mir bis auf den jazzliebhabenden Kollegen von Radio Moskau keine Freunde. Aber in der sovietischen Botschaft gewann ich dann noch einen guten Freund: Albert Grichine, immerhin Kanzler der Botschaft. Den lernte ich eines Tages am Flugplatz kennen, als die wöchentliche einsame Areoflot-Maschine gerade abgeflogen war. Mit dem beim Zoll ausgelösten Material für mein Studio schlurfe ich durch die leere Halle des winzigen Flughafengebäudes, als mich ein strohblonder Soviet anspricht, mir bedeutet, dass er ein „deutsches Anliegen“ habe. Ich bedeute ihm, dass ich „der falsche Deutsche“ sei, der „richtige für Sie heißt Johnny Klein, der ist aus der DDR“. 
     Doch der Blonde bleibt hart mit seinem Anliegen.    
     Meine Frage: was er denn von mir wolle?
     Antwort: Ein Wörterbuch Deutsch-Französisch. 
     Ich: wozu denn bitte? 
     Er: pour traduire le catalogue QUELLE. 
     Mir dämmert es allmählich. Alle drei Monate erhielten die Menschen im sovietischen Ghetto eine eher bescheidene Zuweisung an Devisen. War erst einmal der obligate Peugeot 504 abbezahlt, dann pflegten sie viermal im Jahr eine Bestellung bei der Diplomatenabteilung des Fürther Versandhauses abzugeben. Um den Katalog so richtig verstehen zu können, brauchten sie endlich ein gutes Wörterbuch! 
     Albert bekam nicht nur sein Wörterbuch sondern auch noch die Kataloge von OTTO, Neckermann etc. Weil ich die nicht besaß, musste ich zur westdeutschen Botschaft wandern und diese dort erbitten. Frage der Botschaftssekretärin: „Meuer, bist du unter die Konsumenten gegangen? So kennen wir dich doch nicht!“ Nein, war ich nicht. Ich klärte sie auf, dass dies ein Akt praktischer Ost-West-Annäherung sei. Bekam meine Kataloge und händigte sie im Fort der sovietischen Botschaft ab. 
     Das brachte mir wenige Wochen später dann eine Einladung ins Privathaus von Salbert Grichine ein. Zur fröhlichen Auspackparty der blauen Quelle-Pakete aus Fürth. 
     Doch es wurde nicht nur ausgepackt sondern alle drei Monate auch kräftig gefeiert, dann aber mit heimischem Kaviar und Wodka, getreu    nach    der Devise „Doswidanja-Nasdarowje-Potsalom“ (Prost und bis wir uns unter den Tischen wiedersehen!). 
     In der sovietischen Kolonie war ich jetzt beliebt. Krumm genommen wurde mir allein der Hinweis, dass die Damen „die Kleider auch gleich im sozialistischen Bruderland der DDR bestellen“ könnten, weil die Fürther Textilien 1. Qualität doch alle von dort kämen. Aber beim Kauf in der DDR bekämen sie vermutlich nur Ware 3. Klasse. Reaktion “Gérard, du bist eben doch ein unverbesserlicher Imperialist“.

 
Meine eigene ‚Ostpolitik’

     Die Freundschaft mit den Botschaftssoviets war dann in doppeltem Sinne höchst nützlich: ich konnte jetzt über die bei der Diplomatenabteilung von Quelle bestellen, wofür ich aber stets pünktlich Dollares bei Albert abliefern musste, weil die Soviets ihr Devisenkontingent ja bis zum letzten Cent ausschöpften. Nützlich war die Freundschaft aber vor allem deshalb, weil die Soviets im bitterarmen Mali Selbstversorger waren, auch medizinisch. Das traf sich gut, als ich eines Tages schlimme Zahnschmerzen entwickelte und der einzige vertrauenswürdige Zahnarzt, ein jugoslawischer Entwicklungshelfer, gerade im Heimaturlaub war. Also wandte ich an Albert mit der Bitte um Empfehlung an den Botschafts-Zahnarzt. Dessen Einrichtung war zwar etwas altertümlich-hausbacken, der Mann aber ein absoluter Könner. 
     Nachdem der mich erfolgreich behandelt hatte, bat ich um eine Rechnung. Die aber wurde mir vom Quelle-Kunden Dentist verweigert, denn ‚sozialistische Medizin ist kostenlos’. 
     Mag schon sein, für Sovietbürger. Ich aber wollte zahlen. Also nahm ich wenige Tage später eine der zahlreichen leeren Johnny-Walker-Kisten, die ich für jeweils 50 Pfennig im Hotel Central als Bausteine für meine Bücherwand erwarb, und füllte die aus Lagerbeständen mit einem bunten Sortiment - Whisky, Cognac, Gin, Drambuie etc., fuhr zum Haus des Dentisten, klingelte an der Tür, öffnete das Gartentor, deponierte rasch die Kiste und fuhr davon... 
     Die Kunde von meiner „Bezahlung“ machte rasch die Runde in der sovietischen Gemeinde und einige Tage wurde ich deswegen wüst beschimpft, doch dann wurden die Bestände gemeinsam ‚vernichtet’.


Afrikanische Prüderie

     Was gab’s sonst noch beim Rundfunk? Im Gedächtnis haftend die regelmäßigen Stromausfälle während meiner sonntäglichen Fünf-Stunden-Sendung, in der ich auch schon mal zu Duke Ellington oder Count Basie scattete. Wenn dann der Strom wiederkam, pflegte ich zu sagen: „Diese Ruhepause vor meinem Gesabber wurde ihnen großzügig von der ‚Electricité du Mali’ angeboten.“ 
   Darauf prompter Anruf vom Direktor von zuhause: “Wehe, Gerd, wenn Du das noch einmal machst!“ 
     Beim nächsten Mal sagte ich dann einfach an: „Da hat wohl jemanden Stecker rausgezogen, weil ihm mein Singen nicht gefiel.“ 
     So richtig zurechtgewiesen aber wurde ich wegen eines Posters, das ich auf der Außenseite meines Büros-cum-Studio aufgepinnt hatte. Es zeigte den schwarzen amerikanischen Gitarristen Jimmy Hendrix, jedoch nicht irgendwie. Jimmy stand von unten aufgenommen breitbeinig da, zwischen seinen Beinen zwei barbusige weiße Mädchen. 
     Kaum hatte ich den Poster angebracht, wurde ich auch schon vom Direktor aufgefordert, das „obszöne Poster“ von der Türe meines Büros-cum-Studio abzunehmen. Ich tat es, brachte statt dessen eine Aufschrift an. Die besagte, dass ‚die Obszönität im Auge des Beschauers liegt’. Jetzt war das Maß voll: auf Geheiß des neuen Direktors musste mir der französische Kollege Jean-Claude einen förmlichen Brief schreiben, in der mir riet, ‚doch meinen Humor für die Mauern meiner Wohnung zu reservieren, wo der sicher von Freunden besser geschätzt wird.’ (Faksimile....)

 
Rundfunk auf dem ‚neuesten Stand der Technik“

     „Entwicklungshilfe“ bedeutete auch im Rundfunk, dass zunächst einmal der weiße ‚Experte’ entwickelt wurde, dass er lernte, zu improvisieren. Ein Beispiel unter vielen. Frankreich hatte dem befreundet-feindlichen Mali u.a. einen sündhaft teuren, hochmodernen CITROEN-DS-Reportage-Wagen geschenkt. Der aber war wenige Wochen nach Ankunft nicht mehr einsetzbar. Der Fahrer hatte einfach Motoröl in die typische Citroen-Hebetechnik gefüllt und da war die Hydraulik hin. Damit waren Außenreportagen unmöglich geworden, wir mussten uns irgendwie behelfen. 
     Vor allem für die Live-Reportagen von sportlichen Ereignissen, auf die Jean-Claude so versessen war. Vor allem dann wenn es um den französischen Nationalsport Radrennen ging. Die damalige „Tour du Mali“ beschränkte sich zwar auf die Hauptstadt, dauerte gerade mal wenige Stunden - wie auch anders angesichts der unerträglichen Hitze! Und die meisten Räder hätten jedem Veloziped-Museum Ehre gemacht. Doch gerade deshalb bestand Jean-Claude auf einer live-Berichterstattung. Dem Manne musste geholfen werden. 
     Weshalb ich auf meinem nächsten Deutschland-Urlaub mit deutschen Steuergeldern ein - damals noch schwergewichtiges - walkie-talkie-Duo erwarb. Mit dem einen fuhr er in seinem uralten Peugeot hinter den Radlern hinterher und redete los, das zweite ließ ich von einem Techniker ans Studio-Mischpult anschließen. Dreißig Jahre später riet ich dem Erfinder von „Radio Ada“, einer winzigen Community Station in Ghana es doch einmal ähnlich zu versuchen, weil seine Region einfach noch nicht mit Handy abgedeckt wird...


‚Les disques non-demandés’

     Ich selbst lud mir lieber die Gäste ins Studio ein. Stellte in der Woche die Ohren für singende Marktfrauen, nächtens in den Straßen Gitarre spielende Jugendliche, Briefmarken-sammler und andere interessante Menschen auf, lud die ein, doch sonntags ins Studio zu kommen, live zu spielen, zu singen oder mir ihre Geschichte zu erzählen. 
     Ach ja, auch eine Wunschsendung besonderer Art erfand ich. Einer der malischen Kollegen fuhr mehrmals wöchentlich eine Hörerwunschsendung, in der dann die damals beliebten französischen Schmalzsänger wie Enrico Macias und vor allem Nana Mouskouri abgenudelt wurden. Deshalb nannte ich meine Sendung: „les disques NON-demandés“ (die NICHT gewünschten Platten eben!). Das Verfahren war einfach: in der Woche befragte ich auf dem Markt Malier nach ihren Hörwünschen, bekam eben diese Enrico Macias, Nana Mouskouri  oder Dalida. Diese Wünsche spielte ich dann sonntags von Band ein, bedankte mich „Merci, dann hören wir jetzt also Ella Fitzgerald“ oder eben Ray Charles oder Sarah Vaughan. Und nach und nach bekam ich dann doch Zuschriften, in denen dann diese Sänger gewünscht wurden.


Über den ‚double-emploi’ von Band-Tellern

     Meine fünfstündige Live-Sendung bereitete ich die ganze Woche über vor, indem ich unter anderem die tonnenweise eintreffenden Bänder der Transkriptionsdienste von Radio Moskau, Radio CSSR, Voice of America, Radio Nederland, Radio France, Deutsche Welle, ja sogar auch die vom israelischen Militärfunk auf brauchbare ‚éléments sonores’, Tonelemente abhörte, die herausschnitt und für die Sonntagssendung häufelte, um sie zu verwenden oder auf dem Sender zu verarschen. Freitag, zwei Tage vor der Sendung war Großkampftag und ein besonders schwieriger Tag, denn da kam mir regelmäßig ein wichtiges Arbeitsmittel abhanden. 
    Daran war der muslimische Gebetstag schuld, und das kam so. Früh am Morgen trafen stets die - heute auch in Deutschland bekannten - traditionellen Musiker (vor allem die Choraspieler) im Funk ein, spielten Gesänge für die abendliche Sendung ein, pausierten mittags im Gang. Für die Mittagspause wurde gegrilltes Fleisch von der Straße gekauft - und dies führte stets dazu, dass eines meiner wichtigsten Arbeitsmittel abhanden kam. Die Kollegin Aminata, die sich gerne zu den Musikern gesellte, hatte nämlich die abnehmbaren stählernen Bandteller meiner Telefunken-Tonband-Maschinen, sechs an der Zahl, entdeckt und die als Unterlage für das öltriefende Grillfleisch entwendet, wie ich im Gang feststellen konnte. Zuerst war ich entsetzt, dann fand ich mich mit dieser Doppelverwendung ab. Ich spendierte einen Karton OMO und bat darum, mir die Bandteller nach Verwendung doch bitte wieder gesäubert zurückzugeben.


Das obszöne Land

     Irgendwie haben Jean-Claude und ich uns dann doch an Aminata ‚gerächt’. Es war zu Zeiten, als sich der Ostteil Pakistans vom restlichen Pakistan trennte. Da Jean-Claude und ich in diesen Tagen einmal aushilfsweise die Weltnachrichten verfassten, schrieben wir der Nachrichtenleserin Aminata, die bei allzu großer Hitze schon mal ihr Höschen im Gang fallen ließ, statt BANGLADESH einfach BANGALA Desh in den Nachrichtentext. 
     Sie zieht wie üblich ohne vorherige Lektüre ins Studio, um die Nachrichten zu verlesen, stolpert über das erste Bangala, prustet los, beginnt von vorne, prustet wieder los, bricht lachend zusammen, lässt Musik abfahren. Grund: Bangala ist in der Bambarasprache das Wort für das männliche Glied...


Was anfangen mit dem Band-Schrott aus dem Norden der Welt?

     Wie alle anderen Sender in Afrika auch wurde Radio Mali in diesen Jahren des Kalten Krieges täglich mit Kartons voller Bänder aus Moskau, Washington, Paris, Prag, Köln, London zugeschüttet. Das Gros der Bänder mit Ausnahme der exzellenten Sendungen aus Paris und London, den Musiksendungen der Voice of America war ungenießbar. Kalte-Kriegs-Propaganda von beiden Seiten. Oder schlimmer noch: einfach mieser Geschmack von drittklassigen Radiobeamten, die sich bei den so genannten ‚Transkriptionsdiensten’ in Hilversum, Washington, Prag einen raschen Gulden, Dollar, Krone oder DM verdienten. 
     Lustig machte ich mich am liebsten über die Bänder von ‚meinem’ Sender, der Deutschen Welle in Köln. Ich hörte mir die unsäglichen ‚Kiosques a Musique“ mit deutschen Schlagern oder die noch dümmlicheren Interviews des Transkriptionsdienstes an. Oder auch die des Bänderdienstes von Inter Nationes in Bonn; da entdeckte ich dann, dass einige der Kölner Kollegen ihren Schrott honorarträchtig gleich zweimal verkauften, einmal an die nichts ahnende Deutsche Welle und dann ein zweites Mal an Inter Nationes in Bonn. Dann schnitt ich die schlimmsten Stellen heraus, klebte die hintereinander und sagte die dann voller Zyne als „Produkt meines Heimatsenders“ ab... eine nationale Selbstironie, die natürlich meinem Prestige äußerst förderlich war. In Köln geändert hat es nichts: die Kolleginnen und Kollegen haben sich noch weitere zwanzig Jahre lang ihre Eigentumsappartements und Vorstadthäuser auf diese Weise zusammengeschrieben und - geredet.