Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
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Us mingem Veedel

Doch zurück zu den kölschen Ursprüngen… oder:
Warum einen selbst im wunderschönen Horben manchmal doch ! – dat Heimweh pakk… no der Kaffebud unn enem-          lecker kölsch Mädche… im Kölner Eijelstein-Veedel…
 

                        „Ja, wo simmer dann heh?“

Ja, wo simmer dann heh? Oder: wo lebe ich denn hier eigentlich? Um es kurz zu sagen: im globalen Dorf. 
Nein: nicht im virtuellen, internet-, WeWeWe- oder Big-Brother-container-mässigen... Nein, ganz real. Denn während ich diese Zeilen bei offenem Fenster in der Kölner Nord-Altstadt schreibe, dringt eine wahre Multi-Kulti-Kakophonie an mein Ohr – und... ich mag sie!
N u r  spätnachts klingt es – gelegentlich - bei mir periodisch leit-kulturell deutsch: Das halb-dutzenfache satte Daimler-Türen-Plupp von Taxis.... wenn mein Nachbar-Gegenüber mit seinen Gästen und Freunden gar nicht so alfredo-pianissimo von seinem „Boulevard“ in uns Veedel heimkehrt...
Tagsüber aber da pulsiert am Thürmchenswall und an der Cleverstroos das Leben. Dieses Leben „v o l l“ zu nennen, das wäre ein Pleonasmus oder der sprichwörtliche „weisse Schimmel“! Tagsüber.... da lebt „ming Veedel“ von „Lärmen“, Stimmen, Klängen: Da sind einmaldie Scharen von Kindern, die es hier noch gibt, denn meine italienischen, bosnischen und türkischen Nachbarn – die eindeutige Mehrheit – die haben noch Kinder. Nein, auch nicht mehr in Massen, aber sie haben noch welche. Und die spielen auch mit ihren - wenn auch wenigen - deutschen Nachbarn: da geht ein herrlich kölsch-anatolische-italienisches Babel ab. 
Ich will mich ja nicht als Beobachter aufdrängen, aber im Kiosk, (unserm afrikanischen Markplatz, unserer Kasbah auf Kölsch): da bekomme ich es dann doch mit: da werden die Lollis und die Gummibärchen beim anatolischen Kioskbesitzer und seinen deutschen 630-Marklern mal so und mal so bestellt, geht die Diskussion über die neuesten Kickboards zwei- und mehrsprachig hinundher. (Fast wie auf „meinen“ afrikanischen Märkten in Westafrika: polyglott, endlich!)
Und dann die Mütter, die Grossmütter: die palavernd auf den Fensterbänken der Souterrains sitzen oder auch schon mal die Stühle auf’s Trottoir rücken, um die Kinder zu hüten: wie afrikanische Mammies sind sie die heimlichen Besitzerinnen des Viertels. Und ich weiss, dass DIE alles über uns wissen...
Das Ganze „bedudelt“ von Geigen. Bratschen, Trompeten, Flöten, mehreren Pianos der – vermutlich fast ausschliesslich – japanisch-koreanischen Studenten von der nahen Musikhochschule.
Und immer wieder, an den Abenden vor der Sperrgutmüllabfuhr,das laute Auseinanderklatschen von Schrank- und Bücherbrettern, das Umfallen von Blechen, Zersplittern von Spiegeln.... die Müllgeier sind wieder unterwegs. Aus meiner „Etaje“ kann ich von oben beobachten, wie die professionellen Geier bereits mit Lieferwagen durch’s Viertel kurven.
Und dann natürlich meine Eckkneipe, Name unerwähnt. Wenn’s so richtig „lecker wärm iss“, dann bekomme ich meinen Heino, die Bläcke Föss, die Höhner, die Paveier und auch BAP kostenlos serviert, auch bis über die - lästige - Polizeistunde hinweg.
Und die nächtlichen nach-Kneipengespräche auf dem Trottoir die stellen jeden Fussbroich-Dialog in den Schatten. („Irjendswann“ hänge ich doch mal ein Mikrophon aus dem Fenster! Das muss sich bestens auf dem nahen Haus-Sender „WDR ....26“ versenden!)
Als Kölner kann ich den meisten Gesprächen „vollinhaltlich“ folgen; doch die Gespräche vor unserem „Etablissementchen“, dem Parterre mit Rotlicht im Fenster, die bleiben mir verschlossen: da nutzt mir auch meine in fast vier Jahrzehnten erworbene Kenntnis von Pidgin English und „petit-nègre“, des gebrochenen Afro-Französisch nichts. Da ist eher das ost-europäische Babel angesagt.
Und die Sprachen sind ja nur das eine, die Gerüche das andere: vom Hinterhof riecht es, ja wie denn, woher denn? Ist das nun italienisch oder türkisch oder bosnisch oder gar indisch-pakistanisch oder schon chassidisch-russch – ich hör‘ ja neuerdingssoviel Russisch und Jiddisch ‚op der Stroos’? 
Hat Knoblauch wirklich eine Nationalität? Curry ist übrigens schwer im Kommen. Ob von jenem turban-geschmückten SIKH, der vor ein paar Tagen im Kiosk doch tatsächlich nach „Weissbier“ statt nach Kölsch verlangte? „Obb dä dat darf?“ („Un obb dä dat darf!“) Oder kommt der Geruch von jenem Kameruner, der sich – „typisch Franzose“ – im Kiosk mit „Gauloises“ eindeckte? 
Und seit neuestem verkaufen sie dort auch die deutsch-jüdische Wochenzeitung: mein 74 –jähriger Freund Valentin Gertsman, aus altem jüdischem „Adel“ aus Odessa stammend, aber seit drei Jahrzehnten im texanischen Houston lebend, wollte es nicht glauben. Eine jüdische Wochenzeitung in einem „populären deutschen Viertel?“ Wenn der sich im heimischen Houston diese Zeitung kaufen wollte, dann müsste der zig Meilen reisen, um ein uraltes, zudem „sindhaft teures“ Exemplar zu bekommen!
Was fehlt? Mit dem alten Bläck-Föss-Song kalauernd hätte ich fast gesungen: „hier fehlt nur vom Balkoon, die Aussicht op Kantoon. Also im Veedel fehlen – eijentlisch – nur de Chineesen! Die Chinesen aus Saigon, aber die kamen wohl zu spät: da waren die beiden Lokalitäten schon von einem türkischen Pizzeristen und einem Kalabresen „besetzt“. 
Doch jetzt wird ja – wirklich! - die allerletzte Zweite-Weltkriegs-Lücke zugebaut. Unten kommt – das kann man schon erkennen - ganz sicher ein Lokal rein. Und das wird dann hoffentlich ein Chinese sein. Denn „irjendswie“ fehlen sie eben doch noch in mingem Veedel, die Chinesen, und „1,2 Milliarden Chinesen könne sich ja bekanntlich nicht irren.“
Ach übrigens: Asien ist nun doch schon bei uns angekommen, denn der Tanta-Emma-Laden direkt gegenüber dem Eingang der Musikhochschule, der ist einem Koreaner gewichen. Da gibt’s jetzt schärfsten Kimchi. Und fast hätte ich es vergessen: Afrika ist auch präsent. Vorne präsentiert der Afro-Shop zwar vor allem grellfarbige Haarzöpfe und Telefonkarten für die Rufe nach Burkina, Lesotho und Eritrea. Doch wer nachfragt, der erfährt auch, dass in einem Hinterzimmer jeden Mittag Kenke „gepappt“ wird. Und Sie wundern sich noch, dass meine Besucher aus Hamburg, Nürnberg, Berlin, Zürich, Abidjan, Kairo und Houston, ja selbst aus aus Günterstal – „der deutschen Toskana“...- geradezu eifersüchtig anmerken: „Also, du musst dich hier in dingem Veedel ja sauwohl fühlen!“ Was soll ich darauf antworten??? „Äwwer sicher dat!“
Und wenn’s dann mal – ausnahmsweise - ganz ruhig ist, dann geh ich zur Doppel-Telefonzelle an der Ecke. Die gibts wirklich noch – und sogar unge-styled in urig-gelb! Diese Telefonzellen, das sind unsere BAOBABS. Und was, bitte, ist ein Baobab? Das ist der afrikanische Palaverbaum. Doch das ist, wie die Kölner Ureinwohner, die Monty Pythons sagen würden: eine ganz andere, und schrecklich lange, schöne Geschichte...
Us mingem Veedel.

Zum Veedel gehört der KIOSK, do wu die Löck
„sich der Kaffee in der Kopp schötte…“ (O-TON Black Fööss)