Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
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Der Journalist als SPION

                Festnahme in der Volksrepublik Kongo

     1981 reiste ich in die damalige ‚Volksrepublik Kongo’ oder auch Congo-Brazza, im Gegensatz zu dem großen Kongo, einige Jahre als Zaire bekannt, dessen Haupstadt Kinshasa genau auf der anderen Flussseite liegt. Ich muss bekennen, dass ich öfter dorthin – also nach Brazzaville - fuhr und mir Kinshasa möglichst ersparte. In der fidelen Volksrepublik Congo-Brazza war das Über-Leben einfach erträglicher als im kapitalistischen Zaire des Désiré Mobutu. Und die Nachrichten aus dem nahen Kinshasas bekam man ohnehin brühwarm im „Hotel du Bac“, an der Fähre zwischen den beiden Kongos serviert.
     Eigentlich sollte es eine normale Reportagereise über eine der wenigen noch in Afrika verbliebenen Volksrepubliken werden, doch dann beschloss der damalige und heutige Alleinherrscher, der General Denis Sassou-Nguesso just am Abend meiner Ankunft  nach jahrelanger Herrschaft zufällig seine  „erste internationale   Pressekonferenz“ zu geben. 
     Obwohl noch nicht beim Infoministerium registriert, fuhr ich abends zum Präsidentenpalast  und wurde auch einge-lassen. Im Verlauf der langen Pressekonferenz meldete ich mich mit einer Frage zu Wort und gab ich mich als „Vertreter des imperialistischen Rundfunkstation Deutsche  Welle“  zu erkennen: großes Gelächter im Saal und die Kamera  des lokalen Staatsfernsehens voll  auf mich. Da ich mich gewöhnlich weigerte, mich bei den lokalen Desinformationsministerien anzumelden, hatte ich so wenigstens meinen  inoffiziellen Presseausweis.
     Mit diesem Nicht-Ausweis fuhr ich zwei  Tage später mit dem alten kolonialen Nachtzug  durch  den Mayombe-Urwald  zur  Hafenstadt Pointe-Noire. Dort wollte ich u.a. auch den Bruder meines alten Freundes, des kongolesischen Schriftstellers Tchicaya  UTams’i  besuchen. Der war immerhin Bischof  von  Pointe Noire und somit eine interessante, unabhängige Informationsquelle in einer afrikanischen Volksrepublik.  
     Am  Sonntag  wanderte ich deshalb aus dem Kolonialwaren-Pointe-Noire  durch  das ehemals portugiesische in das schwarze Pointe-Noire, um der Messe beizuwohnen  und  anschließend die Eminenz zu besuchen. Doch  ich  hatte  die Messe  verpasst,  wanderte also wieder zurück, als ich plötzlich unter  dem  mit Regenwolken bleischweren Äquatorhimmel ein farbbesoffenes Spektakel wahrnahm. Es war der Sonntag, an dem in Paris die die Tour de France endete. Und in guter neokolonialer Tradition fand auch in der Volksrepublik genau an diesem Sonntag das nationale Wettrennen statt. Doch climat oblige: nur für wenige Stunden.
     Klima und die uralten Fahrräder erinnerten mich lebhaft an die Radrennen, über die Kollege de Thandt stets in Mali berichtet hatte. Jetzt wollte ich mich mal als Sportreporter versuchen. Ich beschließe eine Reportage über dieses exotisch-farbbesoffene Spektakel für meine Sender von der ARD zu machen. Ich setzte mich auf eine  Bordsteinkante, warf mein kleines Sony-Reportagerät  an und reportierte vier Minuten  lang los. Als ich mein Gerät abschaltete und mich erheben wollte, tippte mir ein Afrikaner in Buschhemd auf die Schulter und bedeutete mir, ihm zu folgen, da ich festgenommen sei. Ich  sei offensichtlich ein Spion und ich sei in flagranti ertappt worden, weil ich versucht hätte, „eine geheime Botschaft ins Ausland zu übermitteln“.  
     Es gelang mir gerade noch, einen Lachkrampf zu unterdrücken. Dann versuchte ich dem jungen Menschen  zu bedeuten, dass dies ein Reportagerät sei, er sich doch das  Aufgenommene bitte  anhören möge. Und wenn er es nicht verstehe, könne er es ja  „den Freunden aus dem Bruderland DDR“ vorspielen. Die nämlich waren hier wie auch in anderen afrikanischen Volksrepubliken entwicklungshelferisch an strategischer Stelle tätig, beim Aufbau des Geheimdienstes... 
     Nichts zu machen: ich musste mit zur Wache. Da nahm man mir dann mein Gerät und ließ mich wissen: „Diese Wache wird jetzt bis  morgen  Montag geschlossen  und wir bringen sie deshalb ins Polizeirevier im Hafen  in Gewahrsam.“! Gesagt,  getan und da saß ich nun am Eingang zum Hafen Pointe-Noire  bei zunehmend freundlicheren Volkspolizisten,  die  nicht wussten, was sie mit mir anfangen  sollten. 
     Irgendwann bekam ich Hunger und Durst, doch weder im Hafen noch vor  dem Hafen gab es an einem Sonntag etwas zu kaufen. Weil festgesetzt, konnte ich nicht in die nahe Stadt und die Polizisten hatten kein  Fahrzeug, um in die Stadt zu fahren. Nach einigen Stunden fiel mir auf, dass in regelmäßigen Abständen in Tarnfarben bemalte Tankwagen erst in den Hafen hinein- und wenig später wieder hinausfuhren. Weil ich am Hafentor frei herumlaufen konnte, bemerkte ich bald, dass es nur kubanische companeros sein konnte., die in den Hafen fuhren, um an den Süßwasserzapfstellen  für  Schiffe Wasser für ihre Camps - in der Nähe zur angolanischen Öl-Enklave Cabinda - zu zapfen. 
     Jetzt hatte ich die Lösung für unser Versorgungsproblem: ich schlug den mich bewachenden Volkspolizisten vor, einer von ihnen möge doch die kubanischen  Genossen um  einen Lift (um Mitnahme) bitten, Brot Sardinen, Käse, Bier und Wein in  der  Stadt auf meine Rechnung einkaufen. Man  habe aber keinen Behälter! Dann sollten sie einfach auf  dem  Markt ein oder zwei Plastikeimer als Behälter kaufen, Geld spiele keine Rolle. Ja, und wie sie denn aus der Stadt zurückkämen? Ich spendierte zusätzlich das Geld für ein Taxi. Die Idee wurde allseits begrüßt, ein Genosse Polizist als Einkäufer bestimmt und eine Stunde  später kam der Volkspolizist-Einkäufer schwerbepackt  mit einem Taxi aus der Stadt zurück. 
     Zusammen nahmen wir ein Mahl mit Sardinen und Pate auf Baguette, Bier, Rotwein, südafrikanischen Äpfeln (zu Zeiten des europäischen Boykotts gegen südafrikanisches Obst!) zu uns. Am  Abend  wiederholten wir den Einkauf dann noch einmal  und erweiterten die Einkaufsliste, so dass auch die darbenden Genossen von der Hafenfeuerwehr versorgt werden konnten. 
     Ja  sogar die in einer engen Zelle einsitzenden  Klein-Kriminellen,  die irgend etwas  im  Hafen zu entwenden versucht hatten, bekamen  etwas  von unserem  Essen und Trinken ab, das seien „doch nur arme  Schweine“,  wie der Chef der Polizistin betonte. Das  ärmste Schwein aber wurde nach Mitternacht von  einem  sovietischen Kapitän  bei der Polizei abgeliefert: es war ein kongolesischer  blinder Passagier,  der sich an Bord seines Schiffes geschmuggelt hatte und  den man erst auf offener See entdeckt hatte, worüber der sovietische Kapitän laut  quengelt,  weil  er jetzt „zwei wertvolle Tage auf See verloren“  habe. Der arme blinde Passagier bekam erst einmal eine Tracht Prügel und  dann machte an sich über ihn lustig, weil der noch einen Schrankschlüssel  in der Hosentasche hatte , „wohl für Deinen Kleiderschrank in Leningrad“, wie  die Polizisten lachend bemerkten.
     Irgendwann nachts wollten die Polizisten mir dann zuvorkommend eine Schlafstelle mit Matratze und Decke bereiten. Obwohl nicht gerade säuberlichst wollte ich  eigentlich  annehmen, lag auch schon, als  mich  vorüber  huschende Gestalten aufschreckten: es waren fette Hafenratten. Ich zog es vor, die Nacht  plaudernd mit den Polizisten und den Feuerwehrleuten zu  verbringen. 
     Es wurde Montag und noch immer tat sich nichts. Da es aber inzwischen einen regen  Autoverkehr in und aus dem Hafen gab, beschloss ich eine Notiz  an den Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland, einen dänischen Holzhändler,  zu  senden.  In der Notiz ließ ich ihn wissen, dass  „ich  mich gewöhnlich selbst aus der Scheiße (merde)  befreie, in die ich  hineingeraten  bin, aber hier tut sich leider absolut nichts. Wäre Ihnen deshalb  dankbar,  wenn  Sie einmal vorbeikommen und  dann den  Geheimdienst  kontaktieren könnten.“
     Inzwischen war auch die einzige Tageszeitung des Landes eingetroffen. In der war der gesamte Wortlaut der von mir besuchten präsidialen Pressekonferenz abgedruckt, inklusive  meiner Selbstidentifikation als „Vertreter einer imperialistischen Radiostation“ und meiner Frage. Ich zeige  das herum, bin jetzt im Kreis der Volkspolizisten ein VIP. Und ich benutzte das Telefon  der  Polizeistelle, um die deutsche Botschaft im einige hundert Kilometer entfernten Brazzaville zu informieren. Der Botschafter selbst verspricht, sich für mich zu verwenden, ich „solle nur die ja am Telefon vernehmbare gute Laune bewahren!“
     Unterdessen  traf  der Konsul persönlich ein, ließ mich wissen,  dass  er alles  tun werde, um mich freizubekommen; wenn ihm dies aber bis  Mittag nicht gelinge, werde er mir wenigstens ein Mittagessen schicken. Da sich nichts tat, traf dies pünktlich in einem Karton ein: Steak mit Fritten, Erbsen, Nachspeise, Obst, kaltem Bier und einer Flasche Rotwein: es  war wiederum ausreichend, um auch die neue Schicht Polizisten zu beköstigen. Gleichzeitig wurde der Konsul persönlich beim Geheimdienst vorstellig,  man  möge doch endlich etwas in meiner Sache unternehmen. 
     Eine  Stunde später erschienen dann schließlich zwei jugendliche Geheimdienstler, arrogant und  frech, mit der Absicht mich zu verhören.
     Ich: da gibt es nichts zu verhören. Hören Sie sich doch erst einmal mein Band an. Schließlich sind Sie doch von der STASI ausgebildet! Im Übrigen  sei  ich der,  der gewöhnlich mit dem Präsidenten rede, wie sie doch der Zeitung  entnehmen  könnten. Außerdem hätte ich jetzt Kopfschmerzen, benötige  dringend eine Dusche und wolle zurück in mein Zimmer im NOVOTEL, das  letzte Nacht  ungenutzt geblieben sei. Wenn das nicht sofort geschehe, gebe  es Ärger. Die Drohung - oder war es der Hinweis auf den Zeitungsartikel? - wirkte: man fuhr mich ins NOVOTEL, wünschte mir alles Gute. Zum Abschluss sprachen die beiden noch eine Bitte aus: ich  möge mich am Nächsten Morgen beim Geheimdienstchef einstellen.
    Gesagt,  getan:  gegen 10 Uhr am nächsten Morgen  wandere  ich  zum Geheimdienst und verkünde lauthals: c’est moi, l’espion! Große Verwunderung, dass da einer lauthals so daherkommt. Ich werde nach oben  gebeten und  dem Chef vorgestellt. Der ist nicht nur zuvorkommend  sondern  auch voller  Entschuldigungen, kann es sich dann aber doch  nicht  verkneifen hinzuzufügen:  „mais Monsieur le Meilleur, votre profession est  un  peu délicate“. Ich stelle mich dumm, will das erklärt haben. Worauf er mir erklärt, dass Journalismus eben ein delikates Geschäft sei.
     Jetzt aber sei ich  frei. Ach und wieder eine Bitte an mich: nach Rückkehr in die Hauptstadt möge ich mich doch dem Innenminister einen Besuch abstatten. Denn auch der wolle sich beim mir entschuldigen. 
     Gesagt  getan: wir haben uns dann unter viel Gelächter  unterhalten  und der  deutsche  Botschafter, bei dem man sich bereits zuvor für die Festnahme eines deutschen Bürgers entschuldigt hatte, amüsierte sich ebenso köstlich.      
             

Die Miesepeter nehmen krumm

      Ich genoss die Festnahme in der Volksrepublik dann noch ein zweites Mal, indem ich das Erlebnis in unterschiedlichen Längen mehreren Sendern der ARD anbot. So auch als ‚grüne Story’ meinem Muttersender, der  Deutschen Welle. Doch während die meisten Kollegen die Story goutierten, nahm einer der unsäglichsten Rundfunkbürokraten der Deutsche Welle wieder einmal krumm. Der Krummnehmer hieß wie so häufig Dr. M. D. , Sohn eines in Nazizeiten und danach bekannten Schauspielers, von  der Abteilung ‚Afrikanische Sprachen’ - ein  ewiger Säuerling. Der fand das  ganze ‚aufgesetzt’, ‚wieder  mal von Meuer inszeniert’ - sei’s drum. 
     Was das ‚Aufsetzen’ anging, wusste der Mann wovon er sprach: Der war, wie mehrere Besucher zu berichten wussten, in seinen Jahren als Rundfunkberater in Botswana nie festgenommen worden, hatte wohl auch als bekannter Pfennigfuchser nie ‚eine halbe Volksarmee ernährt’ - so der Titel meiner Kongo-Story. Vielmehr hatte sich dieser überbezahlte „Rundfunkexperte“ in seinen Jahren in Botswana stets - sondern hatte sich mit einer eigens aufgebauten Selbstschussanlage die aufdringlichen Einheimischen vom Halse gehalten...