Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
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Wenn ‚traditionelle Musik’ nicht ganz so traditionell ist

     Ein paar Jahre später reiste ich gleich mit einer ganzen Rundfunk-Truppe nach Kamerun, eine Reise, die jedoch weit weniger vergnüglich war, und das kam so…
     Mit Hilfe des lokalen Goethe-Mannes Joachim Helbig, einem Musik-Freak, hatte ich den damaligen Leiter der Abteilung außereuropäische Musik des WDR sowie die aktuelle Abteilung des WDR dazu überredet, gleich ein ganzes Paket aus und über Kamerun zu machen. Beachtliche achtzigtausend Mark standen dafür zur Verfügung. Für die Entsendung der Rechercheurin für das Mittags-Magazin, das eine Drei-Stunden-Live-Sendung aus Yaoundé fahren würde; der Moderator Senior Butscher wurde als Bonbon vor der nahen Pensionierung eigens eingeflogen. Eine engagierte, lustige Truppe.
     Solange jedenfalls bis dann auch noch eine - nicht mehr ganz junge - Musik-Ethnologin sowie deren um zwanzig Jahre jüngerer Gspusi einflogen. Mit diesem höchst seltsamen Gespann sollten wir vier Wochen durchs Land reisen, traditionelle Musik aufnehmen, die dann in Teilen auch für die samstägliche Live-Sendung des ‚Mittags-Magazins’ des WDR Live-Sendung Verwendung finden sollte.
     Die Reise war eine einzige menschliche und berufliche Katastrophe. Aus Erfahrung klug geworden und in weiser Voraussicht übergab ich die so genannte Handkasse sogleich an die Ethnologen-Dame. Hätte ich vielleicht besser doch nicht tun sollen. Denn diese Dame hatte zwar ihr Gspusi bedenkenlos auf Kosten des Senders mitreisen lassen, gab sich aber – obwohl doch Musik-ETHNOLOGIN - gegenüber den afrikanischen Musikern aber eher knauserig. Der mitreisende Schweizer Freund Al Imfeld und ich mussten deshalb immer wieder energisch einschreiten und darauf dringen, dass die Musiker auch ordentlich entlohnt wurden. 
     Vor allem aber bestand die Dame, die zuhause ohne feste Anstellung war, sich aber beim WDR eine goldene Nase verdiente, auf ‚besseren’ Kameruns bestand sie auf der Stellung eines klimatisierten japanischen Geländewagens, den es zwar im HERTZ Prospekt für Frankreich, nicht aber in Nord-Kamerun gab. Mein Einwand, dass der Klimaschock beim Aussteigen aus der eisigen Kälte des SUV-Ungetüms in die afrikanisch-heiße Umwelt doch beachtlich sei, fruchtete nichts.

Können sies auch genuin traurig machen? 

Die von ihr fachfraulich beaufsichtigten Aufnahmen gestalteten sich als einzige Karikatur auf „professionelle Musikaufnahmen“. Unbeleckt wie die Dame nun einmal war, wollte sie bereits in der Hauptstadt Yaoundé ein aus ‚richtigen traditionellen Musikern bestehendes Ensemble’ aufnehmen. Ein lokaler Kollege lieferte ihr die auch prompt. Was die Dame Ethnologin nicht mitbekam, war die Tatsache, dass diese ‚traditionellen’ Musiker zum Aufnahmetermin ihre Instrumente aus grün-gelben Fahrzeugen hievten. Dies aber waren nicht irgendwelche der in Yaoundé üblichen Taxis sondern die, die die Musiker tagsüber zum Broterwerb lenkten. Im Hauptberuf waren sie nämlich Taxifahrer: faut que l’artiste mange d’abord!
     Und dann, Bitte!, Aufnahmen mit ‚Waldbewohnern’ oder Pygmäen. Die Aufnahme - nur wenige Kilometer von der Hauptstadt Yaoundé entfernt - scheiterte schon bald an einem querliegenden Urwaldriesen. Techniker Siggi verweigerte die Weiterfahrt, obwohl: wo in Afrika ein Baum querliegt, ist auch eine unternehmungslustige Mammy, Besitzerin einer Motorsäge und kräftigen männlichen Helfern nicht fern. Für ein paar Mark hätte die noch den größten Urwaldriesen aus dem Wege sägen lassen - vielleicht war der ja auch eigens zu diesem Zwecke quer über die Strasse zu liegen gekommen…
     Der Gipfel der Karikatur aber wurde im nördlichen Garoua erreicht. Dort wurden gleich zwei Dutzend traditionelle Musiker – kurzwüchsige Mensche, „also Pygmäen“ - in ein kaltes Studio gebeten. Da mussten sie dann auf Geheiß der Dame nacheinander gefälligst im D-Zug-Tempo eben mal rasch einen Trauersong, dann einen Hochzeitssong, dann einen Jagdsong abliefern, und dies alles bitte schön „genuin“.
     Dabei gab es all diese Aufnahmen „ich echt“ vor Ort, professionell aufgenommen und bestens archiviert. Über Jahre nämlich hatte ein französischer Pater die Musik der gesamten Region mit zwei sündhafte teuren professionellen NAGRA-Tonbandmaschinen, wie wir sie mitführten, aufgenommen. In den Augen unserer honorargeilen Musikethnologin aber war der Mann schon allein deshalb unqualifiziert, weil er Missionar war. Der konnte nur ein Fälscher sein. Nein! Die Dame war erwischt worden und fürchtete die Konkurrenz.
     Sie nahm auf, speiste die Musiker mit miserablen Honoraren ab und kassierte zuhause in Köln dafür die fetten Honorare. Für Sendungen, deren Texte nur so von Unkenntnis der Umwelt- und Lebensbedingungen der Musiker strotzten. Doch angesichts der Unkenntnis im Sender und des formvollendeten Verhaltens der Dame gegenüber dem verantwortlichen Redakteur J. R. konnte die Dame noch viele Jahre ihr Unwesen weitertreiben.

Live aus Yaoundé

      Und so ging es über vier Wochen bis zu jener denkwürdigen Live-Sendung aus dem kamerunischen Rundfunk. Der Presse-Attaché der deutschen Botschaft, mit dem ich viele Telexe gewechselt hatte, hatte angeblich ‚alles erledigt’. Als wir in Yaoundé eintreffen, stellen wir jedoch fest, dass nichts, aber auch nichts „arrangiert“ war. Dank afrikanischer (!) Improvisationsgabe schafften wir es dann wieder einmal, noch in letzter Sekunde die Sendung auf die Beine zu stellen, die Leitung nach Köln zu schalten.
     Doch wie bei einer früheren Live-Sendung aus der nigrischen Wüste fehlte uns bis zur letzten Sekunde wieder einmal die Rückleitung nach Köln, über die wir mit den Kollegen im Funkhaus reden können. Nein, es fehlte uns lediglich ein Telefon im Studio, eine nackte Strippe hing immerhin von der Wand...
     Macht nichts, sagte der Kollege Techniker, lief in ein Büro, riss ein Telefon aus der Wand und klebte das mit Tesafilm an die nackte Telefonstrippe. Zwei drei Viertel Stunden lang lief das „Mittags-Magazin“ erfolgreich live aus Kamerun. Und dann spielten wir doch jene von uns im Alleingang aufgenommene städtische Pop-Musik ein, die wir gegen den Willen der Musik-Ethnologin als „genuines Zeugnis“ neuer afrikanischer Musik aufgenommen hatten.