Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
   |||  Kontakt | Impressum    

Cellular riots in Nigeria  Oder: eine sonntägliche, unruhige Reise mit Nigerias Nobel


    Früher… da konnten wir ungestört reisen und uns ungestört unterhalten. Früher, das war zu Zeiten des Fest-Telefons, wenn man denn einen Anschluss hatte, den man in Nigeria über Jahrzehnte meist… NICHT hatte. Und wenn man einen hatte, dann tat es dieser Anschluss meist NICHT. So jedenfalls seit der Unabhängigkeit 1960 und über Jahrzehnte im Öl-Land Nigeria, wo die Nigerianer vom OIL DOOM statt dem OIL BOOM (also der Heimsuchung durch das Öl statt des Booms) sprachen. 
     Seit etwa fünf Jahren aber ist auch über das Land, ‚in dem wenig bis nichts geht’ – Strom nur stundenweise, Benzin manchmal tagelang keines - das Kommunikationszeitalter hereingebrochen. Nein: nachdem das ‚Phone’ über Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit eher ein weißes Fabelwesen geblieben war, hat Nigeria ganz einfach eine technologische Phase übersprungen, ist gleichsam direkt von der ‚talking drum’ zum Handy, pardon, Cellular gesprungen. 
     Ich jedenfalls kenne keinen Freund, keinen Bekannten, keinen ‚road-side mechanic’ (diese Alleskönner-Automechaniker-am-Straßenrand) und keinen ‚Straßen-tout’ (einen dieser nett-bis-ausbeuterischen-Helfer im Stau) mehr, der nicht wenigstens ein Handy – oder ein Cellular – sein eigen nennen würde. Ja, meist legen die Freunde sogar zwei oder drei Cellulars auf den Tisch, wenn wir ein kühles ‚Star’ gegen die allgegenwärtige Hitze und Schwüle nehmen, denn manchmal wollen die diversen Provider einfach stets noch nicht miteinander kommunizieren. (Obwohl sie von der Regierung dazu gezwungen wurden, ihre Netze miteinander zu verbinden, nachdem sie zuvor durch Nichtverbinden ihrer unterschiedlichen Netze über Jahre einen goldenen Schnitt gemacht hatten!) 
      Mein Freund, Afrikas erster Nobelpreisträger Wole Soyinka besitzt ein Edel-Handy ‚mit unbeschränkter Kommunikation weltweit’ dieser finnischen Marke, das man ihm geschenkt hat. Und dieses Wunderding klingelt und piepst nun ständig, während wir auf der Autobahn von Lagos in sein allmählich restauriertes Haus im Heimatdorf AKE fahren – Jahre zuvor hatte das Terrorregime des Diktators Sanni Abacha als Racheakt Türen und Fenster seines Hauses zerstört. Und schon wieder ist der ‚writer’ (der Schreiber) auch ‚fighter’, wie der Sprecher des Nobel-Kommittees ihn 1986 beschrieben hatte, am ‚fighten’. 
     Dieses Mal kämpfte Wole gegen den – inzwischen vom Parlament torpedierten - Versuch des vor einigen Jahren zum Zivilisten mutierten Generals Olusegun Obasanjo, die Verfassung ändern zu lassen, auf daß er ein drittes Mal als Präsident kandidieren könne. (Und wie Wole glaubhaft versichert, unterhält ‚Uncle Sege’ in der Kunst-Hauptstadt Abuja auch eigens ein Büro, in dem er allen Ernstes ‚hektisch Unterlagen für seine Qualifikation für den Friedens-Nobel sammeln lässt; na ganz so wie er vor Jahren mal seine Bewerbung für den Job des UN-Generalsekretärs betrieb…’) Und zum anderen kämpft Soyinka für PRONACO, eine Vereinigung von Demokraten, die endlich eine ‚Nationale Konferenz’ einberufen sehen wollen, die dann endlich einmal eine neue Verfassung und die großen politischen Linien des volkreichsten afrikanischen Landes beraten soll. 
     Als wahre Nationalisten wollen Soyinka und seine Mitkämpfer diese Kampagne jedoch nicht auf den Süden des Landes beschränken sondern diese Vorhaben auch im – stets vereinfachend ‚islamisch’ genannten - Norden des Landes vorantreiben. Denn auch dort haben sie, ungeachtet der ‚Shariasierung’ weiter Teile der Gesellschaft, mutige und nicht ganz einflusslose Mitstreiter. 
     Doch in den Tagen, an denen wir zusammen reisten, kochte auch in Nord-Nigeria die Volksseele wegen der fernen Mohammed-Karikaturen, die dort natürlich niemand je gesehen hatte! Bzw. die Volksseele wurde – in Erwartung der Präsidentschaftswahlen des Jahres 2007 - von interessierten Politikern angeheizt. Ganz oben in der Nähe des Tschadsees, in Maiduguri, hatte es tatsächliche erste gewalttätige Auseinandersetzungen gegeben. 
     Und jetzt – während wir auf der Autobahn von Lagos nach Abeokuta rollen, piepst Woles Handy ständig, eine SMS jagt die andere; eine erste und bald darauf eine zweite SMS teilt ihm mit, dass es auch in der nördlichen Millionenstadt KANO zu Unruhen gekommen sei, das geplante PRONACO-Treffen „sollte deshalb besser abgesagt werden“. 
     Wole ist misstrauisch, ruft einen Freund in Kano an, der ihm prompt bestätigt, dass ‚in Kano alles ruhig’ sei. Doch Wole wird weiter mit Horrormeldungen bombardiert, weshalb er, bei ihm zuhause angekommen, zu einer List greift.    
     “Weißt du, da bombardiert mich seit Tagen ein unbekannter ’Sender’ mit diesen Meldungen. Jetzt musst du mir helfen! Du rufst diesen Menschen an, sagst ihm, du heißt Tim Smith, bekommst ständig diese Meldungen. Die seien wohl für einen anderen Adressaten bestimmt und nicht für dich, Tim. Und dann fragst du diesen Menschen, für wen diese SMS denn bestimmt seien?“ 
     Ich wähle die Nummer, melde mich als Tim Smith, erhebe Einspruch gegen diese fortgesetzten Belästigungen, und frage, für wen diese SMS denn bestimmt seien. Der Anrufer, der sich nicht zu erkennen geben will, gibt jedoch zu, dass die für einen ’gewissen Prof’ bestimmt seien – im Volksmund wird Soyinka zumeist als ‚Professor’ (oder auch als ‚The Man’) bezeichnet. 
     Ich: „Der bin ich aber nicht, Die gewählte Nummer ist somit falsch. Und woher haben Sie denn diese Nummer überhaupt?“ Antwort: „Von einer besorgten Person, die mir diese Nummer geben hat, die aber ihren Namen nicht nennen will.“ 
     Darauf ich: „Dann lassen Sie es doch einfach: die von ihnen gewählte Nummer ist falsch!“ 
     Darauf Wole zu mir: „Well done, brother! Let’s see whether this nonsense will now stop.“ Ich werde Wole die Tage mal fragen müssen, ob dieser nonsense dann wirklich aufhörte. 
     Tatsache ist und bleibt, dass nach Jahrzehnten der Nicht-Kommunikation jetzt in Nigeria wie wild kommuniziert werden kann und wird. Der Ausbau des Handy-Netzes gleichsam über Nacht, v.a. durch ein wild expandierendes Unternehmen - aus Südafrika! - macht es möglich. Das hat mächtige Vorteile, v.a. den Vorteil, dass man etwa im 15-Millionen-Einwohner-Koloss Lagos sich nicht mehr in die früher ganztägigen ‚go-slows’ oder Staus auf den Autobahnen begeben muss, um mit jemand reden zu können – wenn man denn überhaupt bis zum gewünschten Treffpunkt gelangte: meist kehrte man nach Stunden im Stau einfach um, wenn es denn die Möglichkeit zu einer Wende gab! Statt dessen redet man mit dem Cellular oder verschickt SMS, und als Folge hat der Verkehr drastisch abgenommen. 
     Ein Nachtteil dieses technologischen Sprungs aber wird in diesen Tagen nur allzu deutlich. In Nigeria wie in Ramallah, Gaza, Kabul oder Djakarta: die neue, relativ billige, und nun wirklich funktionierende Technik von Handy und SMS wird allenthalben von ‚interested persons’ zum Aufheizen einer ohnehin sozial geladenen Stimmung verwendet, und es bedarf schon des kühlen Geistes und der trickreichen Cleverness eines Wole Soyinka, um dem – wenigstens teilweise – entgegenzuwirken. 
     (Und ab und an muss auch der Nobel sich in diesem unmöglichen Lagos doch noch einmal physisch von einem Ort zu anderen bewegen – oder zumindest versucht er es – siehe dazu die Story „Wenn der Nobel Okada fährt“)

Nachsatz:
    Da wo die arbeitslosen Jungen und Mädchen früher im Stau auf der Autobahn – je nach Jahreszeit – aufblasbare Weihnachtsmänner oder Osterhasen oder tragbare Geld-Safes verkauften, bieten sie heute Handy-Karten an, die sie wie Hawai-Blumen-Girlanden um den Hals gebunden haben: der Verkauf läuft rasant. So auch auf dem platten Lande, in den Dörfern. In ’meinem’ Heimatdorf Odogbolu aber wollte ein Händler doch lieber auf Nummer sicher gehen, denn neben Phone Cards bot er auch ‚carrots und honey’ aus
heimischer Produktion an. (Siehe angehängtes Foto). 
     Noch kommen die Handy-Karten aus Südafrika oder aus Europa, doch ein anderer Bekannter, dessen Vater seit Jahrzehnten brav Bibeln, Schulbücher und Kalender druckt, hat die Zeichen der neuen Kommunikationszeit erkannt. Er baut gerade einen Hochsicherheitstrakt mit mehreren Dutzend Videokameras und hohen Stahltüren, in dem er demnächst diese Karten lokal produzieren will. Einen privaten Sicherheitsdienst hat er auch bereits engagiert. Ein indischer Fachmann ist bereits fest engagiert, einen deutschen Fachmann für das ‚security printing’ glaubte er bereits fest engagiert zu haben. Doch als der sich kundig machte, wo denn seine neue Arbeitsstelle sei – „in Lagos, in diesem Nigeria!“ – da ‚hat der erst einmal kalte Füsse bekommen! Jetzt wird mich der wohl viel teurer kommen!“ 
     Bayo will mich wissen lassen, ob der Deutsche dann noch zusagt, und wenn dann die Produktion ins Rollen gekommen ist, dann will er ‚endlich einmal Urlaub im Schwarzwald machen und nur Urlaub, „denn meine Druck-Maschinen die kann ich jetzt einfacher und kostengünstiger in Dubai als in Deutschland einkaufen.“

Carrot_and_honey.jpg