Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
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De mortuis nihil nisi…

              Aber: Ein Nobel für den Polen, war das wirklich eine gute Idee?

 Oder: wo hatte Kapuscinski das bloß alles erlebt???

     Ich war geschockt: musste ich doch lesen, dass seit einigen Jahren doch tatsächlich ein gewisser, schreibender Pole für den LITERATUR-Nobel gehandelt wurde. Auf diesen Schock habe ich diesen Autor wieder einmal gelesen, und zwar ein Fabelstück, das der 1966 über eine Region und ein Ereignis verfasste, in der ich mich damals zufällig auch aufhielt bzw. in der ich –anders als er - als Student und free-lancer dauerhaft lebte.
      Der wohl seit einigen Jahren auf den Nobel wartende Pole behauptete nämlich, sich etwa zur selben Zeit wie ich in Nigerias Western Region aufgehalten zu haben. Und in seinen damaligen Notizen, die kein Geringerer als Hans Magnus Enzensberger fast drei Jahrzehnte später erneut aufzulegen wagte, fand ich doch tatsächlich eine wahre Räuberpistole, also das, was der aus dieser Region stammende Literatur-Nobel des Jahres 1986, Wole SOYINKA, ‚faction’, also eine Mischung von Fakt und Fiktion zu nennen pflegt.

      Ryszard K. beschrieb nämlich, wie die Nigerianer ihm damals beständig und lebensgefährlich an die Wäsche gingen…
    Also: da “steht“ nach Mr. K. „die ganze Erde der Joruba in Flammen“ (S. 194, Neuauflage bei Eichborn, Frankfurt, 1990), und fährt Ryszard „auf einer Landstraße, von der es heißt, dass auf ihr kein Weißer lebend durchkommt.“  Eben diese Yoruba pflegen auf eine solche Aussage auszurufen: „Na how, now!“

      Frag ich mich dann: wo hat Ryszard das bloß her? Etwa am sprichwörtlichen Journalisten-Cocktail-Circuit aufgefangen? Doch immerhin: unser mutiger Reporter sagt: „Ich fahre, um mich zu überzeugen, ob das stimmt“, denn: „denn ich muß alles selber erleben.“ IMMERHIN!

     Und weiter R.: “Ich weiß, dass der Mensch Angst empfindet, wenn er sich im Dickicht an einen Löwen heranpirscht.“

Frage: wer hat damals dem R. K. erzählt, daß es zwischen Lagos und Ibadan Lagos – eben damals - noch Löwen gegeben hätte? Oder meint der R. das nur symbolisch-metaphorisch-bedeutungsschwer, meint er also diese Neger? Egal wie auch, denn:
„Ich habe mich an Löwen angepirscht, um zu erfahren, wie das ist. Ich musste das kennenlernen und wusste, daß es mir keiner beschreiben konnte.“
Frage: wie? Hatte K. zuvor nie Hemingway und andere gelesen?
Ach Ja, R. gibt zu:
„Ich selber kann es auch nicht beschreiben.“

Wie das nun wieder? Ob ers dann nicht besser hätte bleiben lassen? Doch Kapu gibt sich dann doch – immerhin – als bescheidener Schreiber, denn: „So wie ich die Nacht in der Sahara nicht beschreiben kann.“ Warum dies nun wieder? Ryszards überzeugende Antwort: „Die Sterne in der Sahara sind riesig groß.“
Ach so, jetzt verstehe ich! Obwohl: was meint Ryszard bloß, wenn er dann schreibt:
„Die Nacht in der Sahara ist grün wie eine masowische Wiese.“
Wo aber liegt, erstens, Masowien? Aber ist das wirklich wichtig, wo es sich doch wieder nur um Symbollik handelt, und „Symbollik war schon immer so ein Schwein..“, wie es in diesem polnischen Witz heißt.

Und jetzt wird es spannend, denn Ryszard fährt erst einen Hügel hinauf und dann sieht er „die erste brennende Barrikade.“ Und oh Schreck: „Für eine Umkehr war es zu spät.“ Und jetzt wird es wirklich ernst, wie Ryszard uns lebhaft schildert, denn „quer über die Fahrbahn lagen brennende Reifen…“ Aber schlimmer noch: er sieht
„ein Dutzend junger Menschen:.. sie standen offenbar unter dem Einfluß von Haschisch, denn in ihren Augen war nur Leere und Wahnsinn. Sie waren schweißgebadet, in Ekstase, in einem Zustand des Amoks.“

                 Und dann kommts ganz dick:

„Sie fielen über mich her….ich spürte drei Messerspitzen in meinem Rücken und sah einige Macheten auf meinen Kopf gerichtet. Zwei Aktivisten standen ein paar Schritte entfernt und richteten ihre Schrotflinten auf mich, um jeden Fluchtversuch zu verhindern. Ich war umzingelt.“ Und schlimmer noch: „Dicht vor mir sah ich schweißnasse Gesichter, wirre Blicke, blitzende Messer und Läufe.“

Und was denkt sich unser schlauer Pole? Na was?

„Meine afrikanischen Erfarungen lehrten mich, dass es in einer solchen Situation am schlimmsten ist, Schwäche zu zeigen oder zu versuchen, sich zu wehren, denn das stachelt den Gegner nur auf, setzt in ihm neue Aggressionen frei.“

Jetzt aber: Moment mal, Ryszard: WIESO sind das denn gleich und sofort deine GEGNER? So plötzlich! Wenn du dich da mal nicht der gemeinen VICTIMOLOGIE hingegeben hast! Du wusstest doch was das ist, oder – Entschuldigung! - gab es diese Wissenschaft damals noch nicht?

           Na ja, unser armer Ryszard hatte eben seine ‚Erfahrungen’, denn: „Im Kongo wurden Maschinen-pistolen auf meinen Magen gerichtet.“
Hier in Nigeria aber bleibt unser polnischer Held cool:
„Ich durfte mich nicht bewegen… Aber um diese Reglosigkeit zu erreichen, bedarf es eines gewissen Willenstrainings, denn innerlich möchte man am liebsten davonlaufen oder dem Gegenüber an die Gurgel fahren.“

Aber nicht doch Ryszard! Hättest du es doch mal mit einem Scherz versucht, in Pidgin oder petit-nègre. Das wo man aber können müsste!

Ryszard aber hat eine höhere Einsicht:

„Es ist der Moment, da er, der Schwarze, mich prüft, nach meiner Schwachstelle sucht.“

Doch was hat ‚DER’ Schwarze laut Ryzsard?

„Er hat Angst, meinen starken Punkt zu treffen, denn die Angst vor dem weißen Mann sitzt tief, daher will er meine Schwächen aufspüren. Er will mich schlagen und fahndet nach der geeigneten Stelle.“

Denn, so will uns der Großmeister der Reportage glauben machen:
„Das ist Afrika, ich bin in Afrika.“

ACH SO! Und der Leser dachte schon, Kapu sei auf der Couch eines Vulgär-Freudianers! Doch Ryszard weiß schon wieder was:
„Sie (also diese Schwarzen eben!) wissen nicht, dass ich nicht ihr Feind bin.“
Zu dumm auch! Aber sie, also diese Schwarzen, wissen doch was:
„Sie wissen, dass ich ein Weißer bin, und der einzige Weiße, den sie kannten, war der Kolonialherr, der sie ihrer Würde beraubte, und nun wollten sie sich an mir rächen.“

Jetzt haben wir also auch noch Kapu den Vulgär-Historiker oder Vulgär-Soziologen, der eben mal wieder haargenau daneben zielt, denn – jedenfalls in West-Nigeria - hatten diese Schwarzen schon längere Zeit auch ein paar, NEIN: massig andere Weiße gesehen: Missionare, Händler, sogar Gelehrte, ja selbst ein paar weiße Studenten, an denen sich nun partout kein Schwarzer nicht rächen wollte.
Doch weil die Schwarzen eben den armen Kapu angeblich „für Lady Lugard, die sich in einer Sänfte tragen ließ…“ bestrafen wollen, bekommt er Klöppe, weil er auf diesbezügliche finanzielle Forderungen zu wenig herausrücken will. Kapu konstatiert, dass im Vergleich zum Kongo, wo sich die Neger ‚auch mal mit ner Schachtel Zigaretten zufrieden gaben’, „alles… teurer wird in Afrika.“

Also, lieber Kapu: am Tag nach dem ersten Militärputsch in Nigeria, am 16.1.1966 fuhren wir die vielen Kilometer von Kaduna im Norden Nigerias bis in das wilde Ibadan, eine ganze Strecke durch die umkämpfte Western Region, durch zahlreiche Straßensperren, und nie, nie zahlten wir – Weißen! – wir akzeptierten einfach, dass unsere Autos mit dem Symbol der UPGA, den Palmwedeln dekoriert wurden: so einfach war das!
Und vorher fuhr ich wochenlang mit meinem klapprigen 2CV durch eben diese Western Region, auch von Lagos nach Ibadan, und wurde NIE, aber auch NIE behelligt! Und wann immer mein deutscher Konsul in Ibadan mir sagte, wo ich NICHT hinfahren sollte, „weil es dort zu gefährlich ist“, fuhr ich just dorthin, um zu erfahren, wessen Haus oder Daimler dort gerade abgefackelt wurde. Und NIE passierte mir NICHTS!

Doch weiter in Kapus Text: Erst wollen die ‚Aktivisten’ Kapus Auto – ach: nicht sein ‚Eigentum’, er war ‚das Eigentum des polnischen Staates“ – auch das noch! - in Brand stecken, lassen es dann aber, und er kann weiterfahren.
Und jetzt macht unser Kapu wenigstens eine afro-erotische Erfahrung:

„Am besten gefielen mir die Mädchen. Sie waren nackt bis zu den Hüften und hatten auf ihre vollen Brüste den Parteinamen gemalt…“

Na, wenigstens das! Doch so ganz hat dieser Anblick den Polen Kapu wohl doch nicht befriedigt, denn:

„Doch: …in meinem Kopf rumorte es wie in einer Mühle“.
 
Kapu aber bleibt nicht viel Zeit fürs Rumoren, weil er bereits in die nächste Falle gerät, wo er mit Benzol übergossen wird, „denn hier werden alle Menschen mit Benzol in Brand gesteckt, weil das am besten brennt.“
Kapu sieht sich bereits von den ‚Wahnsinnigen’ gezündelt, doch kommt Rettung in Gestalt des wahnsinnigen Anführers:
„Er war glücklich und begann froh zu lachen. Nun stimmten alle in dieses Lachen ein.“ 
Und dann was?

„Das Lachen war meine Rettung.“

Das aber hätte der gute Kapu doch gleich haben können! Kapu aber fährt todesmutig gleich in die nächste Barrikade und lässt sich doch – tatsächlich – von Polizisten retten bzw. ins rettende Lagos fahren: „Als wir nach Lagos kamen, brach die Dämmerung herein.“ Na ja, da war unser Held also endlich im ‚Herzen der Finsternis’ (Joseph Conrad lässt grüßen!) angekommen…

Und was sollen wir dem als prospektiven Literatur-Nobel gehandelten Großreporter jetzt noch von seinen anderen weltweiten Abenteuern glauben ???  Zumal dann, wenn sich noch ein paar weitere Kollegen daran – BITTE! – erinnern könnten, den guten Kapu irgendwo auf der Welt erlebt zu haben. Die alten Römer hatten dafür ja einen Spruch parat: ‚si tacuisses’ usw. Und Enzensberger muss ja nicht alles, was mal so in den Sechzigern des verflossenen Jahrhunderts mal so verzapft wurde, zum zigsten Mal neu auflegen, oder!

    Und in Richtung Nobel-Ausgucker gilt:

              „Hallo Stockholm: künftig AUFGEPASST!“

Alle Zitate aus:
Ryszard Kapuscinski, „Der Fussballkrieg – Berichte aus der Dritten Welt“, Die Andere Bibliothek, herausgegeben von Hans Magnus Enzensberger, Eichborn Verlag, Frankfurt, 1990


Nachtrag:
ein deutsch-afrikanischer Kollege Journalist, selbst in Afrika tätig, meinte dazu lapidar: „Der ist doch Kandidat für den LITERATUR-Nobelpreis!“, womit er wohl sagen wollte, dass es hier um FIKTION gehen, und nicht etwa FACTION, also eine erklärte Mischung aus FAKT und FIKTION, wie Afrikas erster Literaturnobel Wole Soyinka gerne hellsichtig-selbstkritisch von seinen autobiographischen Schriften zu sagen pflegt.

Und doch schlimm, wenn Kapu denn – was der Herr verhinderte! - in die Fußstapfen eines gewissen V.S. Naipaul getreten wäre, der ja einige wirkliche tolle Romane, zu Afrika aber ein unsägliches Buch geschrieben hat… Wenn eben ein an Albion akkulturierter tweedy Oxfordianer über ‚Neger’ schreibt, denn sein ‚Bend in the River’ sagt eigentlich alles über seinen den ‚bend in HIS brain’.
Ich kannte mal eine Übersetzerin, die bei jeder Frankfurter Buchmesse die Hoffnung aussprach, dass ‚mein Mann diesen Preis NICHT bekommt…’
Er bekam ihn dann – leider! - doch!

Manchmal sind diese Vikinger aber auch rätselhaft!

Nachtrag:
Wie schrieb doch der Afrikakorrespondent der SZ Michael Birnbaum am 13.10.1999 zu Kapus ‚Afrikanischem Fieber’, wie damals – doch – bei Eichborn wieder-verlegt:

     “Dieser Kontinent ist zu groß, als dass man ihn beschreiben könnte.“ Ryszard Kapuscinsky spricht sich gleich im Vorwort seines neuen Buches selbst frei von jeder möglichen Kritik. …
      Doch weil Kapuscinski in den vergangenen zwei Jahrzehnten die wichtigsten Ereignisse nicht miterlebte, sie nie mit Intellektuellen oder den neuen Eliten an einen Tisch gestezt hat, finden diese modernen Zeiten Afrikas einfach nicht statt.- oder es bleiben als „Vorlesungen über Ruanda“ selbst Völkermorde teilnahmslos, ohne Gesicht und gefährlich oberflächlich. So hinterlässt das Buch einen schalen Nachgeschmack: Da hat einer versucht, ein Remake seines eigenen Ruhmes zu wiederholen. Ein faszinierender Fehlversuch, anregend zu lesen, aber letztendlich schrecklich unbefriedigend.