Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
   |||  Kontakt | Impressum    

CETERUM CENSEO

Luc Leysen:

                        Islam Light

     “Ibrahim, donnez-nous encore deux Gazelles”, sagt mein Freund Mamadou. Der Kellner der buvette bringt zwei Flaschen des preiswerten Bieres, Pilsener Light. “Tu vois, sagt der fromme Mamadou, und nimmt einen kräftigen Schluck, ich bin ein moderner Muslim!” 98 % der Senegalesen sind laut Statistik islamisch. Die “Brasserie de L’Ouest-Africain” ist aber eines der wenigen florierenden Betriebe im Lande.
    Small talk mit dem Botschafter eines arabischen Golfstaats bei einem Bonner Empfang. Ich mühe mich, mich einzuschmeicheln: in meinen langen Afrikajahren hätte ich den Islam als eine durchaus positive Religion empfunden, eine festigende Komponente der Gesellschaft. Doch seine Exzellenz – soignierter Schnurrbart, maßgeschneiderter Seidenanzug – faucht: “Oh, but those are no real Muslims!” 
   Ein Verkaufsstand am Straßenrand in der Nähe von Kapstadt. Der farbige muslimische Händler bietet Boerewors feil. Für die traditionell-burische Bratwurstdelikatesse wirbt ein Brett mit sauberen, computergenerierten blauen Buchstaben. Um es sich mit der neuen, gläubigen Kundschaft aus den benachbarten Townships nicht zu verderben, hat er aber das Schild mit einer groben, handgemalten Überschrift ergänzt: “HALAL”, nach islamischem Reinheitsgebot geschlachtet. 
    Nach einem stressigen, stickigen Bürotag in Dakar wird Freund Lamine von seiner (deutschen) Frau Marianne an der Tür mit einer Schicksalsmeldung abgefangen: schon wieder sitze eine entfernte Kusine aus dem Heimatdorf auf der Couch, sie habe ihren halbwüchsigen Sohn mitgebracht, es gehe diesmal wohl um dessen Schulgeld. Für den Architekten Lamine, für jeden Afrikaner, der es zu etwas gebracht hat, sind solche Besuche und ihre Häufigkeit ein Horror. Marianne hat nur noch einen Rest Schweinebraten da. “Dann sollen sie meinetwegen Schwein essen!” grummelt Lamine. Und verschwindet mit dem Gebetsteppich unter dem Arm ins Schlafzimmer. 
   Mit den Twin Towers ist weltweit ein neues Interesse für den Islam entflammt, auch in der Brüsseler Kulturszene. Unerwähnt bleibt dabei aber meistens die afrikanische Variante der Weltreligion. Wer die Lehmgotik der Moscheen von Mali bewundern durfte, oder die Jahrhunderte alten, üppig verzierten Manuskripte der Bibliothek von Timbuktu, der kann nicht daran zweifeln, wie viel der Islam für Afrika bedeutet. Und umgekehrt. Lange, bevor europäische Pfeffersäcke an Westafrikas Küsten landeten, zogen arabische Händler quer durch die Sahara gen Süden. Millionen von afrikanischen Kindern lernen bis heute in Koranschulen die Schriftsprache kennen – in jedem Menschenleben ein Quantensprung. Nicht selten schlichten religiöse Führer Konflikte. Mancherorts schützt islamische Moral vor der AIDS-Pandemie. Außer in den nördlichen Schariah-Staaten von Nigeria kommt der schwarzafrikanische Islam aber bislang ohne jenen rabiaten, exklusiven Fundamentalismus aus, der die Religion fast überall so unausstehlich macht. Denn Flexibilität ist eine eminent afrikanische Tugend. Ungeniert und komplexlos geht man mit Importiertem um: mit Computern und Autos, mit europäischen Amtssprachen und mit fremden Religionen. Manch ein afrikanischer Vater schickt einen seiner Söhne in die Koranschule, einen zu den französischen Patres und einen dritten zu den Schamanen im heiligen Wald – irgendetwas gutes wird dabei schon heraus kommen. Opportunismus, das Recht der Armen, schützt offenbar vor Radikalisierung. Afrikanische Muslime malen fröhlich für Pariser Galerien heißbegehrte Meisterwerke, vom religiösen Abbildungsverbot völlig ungetrübt. Schwarze Autoren müssen keine Fatwa befürchten, werden nicht zu Aussätzigen, wenn sie sich kritisch mit der Religion auseinander setzen. Und Mamadou darf in Ruhe sein Gazelle trinken. 
    Mein Nachbarviertel in Dakar, Neubau zur Entlastung der Millionenstadt, hieß “Sacré-Coeur”, vermutlich nach einer ehemaligen katholischen Missionsstation. Natürlich hatte dort auch eine Moschee zu entstehen. Finanziert wurde der kitschige Bau aus Beiträgen der Gläubigen, und wohl auch mit Petrodollars aus Saudi-Arabien. Nach seiner Fertigstellung stellte sich die Frage nach einem Namen für das Gotteshaus. Doch der Volksmund hatte die Antwort schon parat. Er nannte das Heiligtum, völlig selbstverständlich, “La Mosquée Sacré-Coeur”. Und so heißt sie bis heute. Islam Light. So geht es nämlich auch. 

In: Het Kunstenpalais -Le Palais des Beaux-Arts, Brüssel September 2003