Gerd Meuer mit Nobelpreisträger Wole Soyinka
   |||  Kontakt | Impressum    

Die Vermeidung des Wortes, das seinen Namen hinausschreit

Wole Soyinka (Literatur-Nobel 1986)
 

     Es war auf dem Boden der französischen Nation, jenerkultur-stolzen Nation - die gelegentlich den Begriff der ‚Zivilisation’ mit dem, was einzigartig Französisch ist, gleichzusetzen scheint - dass vor nicht allzu langer Zeit ein Kulturkrieger einen Bulldozer in ein Hamburger-Lokal rammte. Dieser Kulturkrieger begriff seine Mission als Teil des Feldzuges gegen die Woge des Neo-Barbarismus, der, jedenfalls in französischen Augen, mitallem Amerikanischem identisch ist. 
     Diesem Verteidiger französischer kultureller Reinheit ging offensichtlich ganz und gar ein Gedanke ab, der das kollektive Gedächtnis der früheren kolonialen Untertanen Frankreichs bewegt haben muss: die Macdonaldisierung oder Disneyisierung der französischen Stadt-Landschaft war nämlich eine Art poetischer Rache, und zwar in einer Art Rückwärtsrolle der Geschichte. MacDonalds war herübergekommen (eingefallen) aus der Kolonie einer anderen europäischen Kolonialmacht, um den kulturellen Hermetismus (die kulturelle Abgeschlossenheit) eines anderen früheren Kolonisators herauszufordern.
     Die Umstände und die ‚action directe’ des französischen Bauernführers Bové auf seinem Bulldozer unterschieden sich in gewissem Masse von den Umständen und den Aktionen, die der Dichter und Staatsmann Léopold Sedar Senghor und seine Kollegen Aimé Césaire, Diop, Réné Depestre und andere kulturelle ‚militants’ – um Senghors eigene Wortwahl zu verwenden – zu ihrer Zeit wählten. Sie protestierten – und zwar just auf dem Territorium ihrer Kolonisatoren, und als Protagonisten einer weit entfernten Zivilisation - gegen die Vormachtstellung anderer gegenüber ihren  eigenen Kulturen und ihrer eigenen Zivilisation.
      Ihr Protest gegen den ungleichen Dialog zwischen Frankreich und seinen kolonialen Besitzungen, ausgelöst im Lager des Feindes, hatte natürlich weitreichende Folgen; dieser ‚Dialog’ war nämlich einer, der den afrikanischen Geist zu einem bloßen Gefäß für französische Werte, abhängig von einer europäischen Identität und europäischen Werten, gemacht hatte.
      Die NEGRITUDE – um das Kind beim Namen zu nennen – sah sich also gezwungen, mit einer vordergründig separatistischen Strategie anzusetzen, einer Strategie, die die afrikanische kulturelle Matrix in einer gegensätzlichen Selbstdefinition gegen die europäische setzte. Oberflächlich betrachtet, bedeutete dies, dass die Paradigmen der Negritude zwei deutlich voneinander abgesetzte, parallele Kulturen behaupteten, zwei Monologe – auf der einen Seite die europäische Kultur, und auf der anderen die andere, die schwarze Kultur. 
     Einfacher gesagt, bedeutete dies, Feuer mit Feuer zu  bekämpfen. Diejenigen, die sich an diese Phase des schwarzen  Nationalismus in den USA und im Südafrika der apartheid erinnern – Back to Africa, Black is Beautiful, Black Consciousness etc. – werden in der Negritude leicht sowohl den Erben als auch den Vorläufer einer Tradition erkennen, die aus Vertreibung, Beherrschung und Enteignung geboren wurde.
     Die Strategie der Negritude löste in der Gemeinde weißen liberalen Denkens Anschuldigen aus, hier handle es sich um einen Gegen-Rassismus - Jean-Paul Sartre formulierte dies vielleicht wohlwollend als ’anti-rassistischen Rassismus’. 
     Man wünschte sich, der gegenwärtige rassische Diskurs, alle gegenwärtigen Vorschläge und Vorhaben, die in Richtung eines kulturellen Separatismus gehen, wären ähnlich wohlwollend, und eben, wie in diesem Falle, der Friedfertigkeit innerhalb der menschlichen Gemeinschaft ähnlich förderlich. Denn diese vordergründig separatistische Bestimmheit der Aussage mündete ja schlussendlich in jene Option, die auf  eine (kulturelle) Konvergenz mit anderen (Kulturen) abzielte. 
     Diese optimistische Sicht der Dinge, gemeint ist die gegenseitige Befruchtung der Kulturen, angetrieben von Senghors unermüdlichem Historizismus, weitete sich dahin aus, dass er die arabische Welt und ihre kulturellen Manifestationen mit einschloss – er gab diesem Konzept den Namen ‚Arabité’. Es war die krönende Verkündung dessen, was die Geschichte selbst lange verkündet hatte, eine  Entwicklung, die in Senghors Formulierung unausweichlich ihre Erfüllung finden würde in Gestalt des ‚Equilibriums des Humanismus des 20. Jahrhunderts’, der von ihm so genannten ‚Civilisation de L’Universel’.
     In meiner Sicht wäre es mehr als ausreichend, wenn wir heute diesen Optimismus wieder wachrufen könnten, in Erinnerung an an dieses Treffen gleichgesinnter Geister – eine Feier der Identität und der Herkunft, und ein Öffnen der kollektiven Erinnerung im Sinne einer Hinterfragung – um dann entscheiden zu können, wessen wir uns entledigen müssen, und was wir beibehalten sollten als den Beitrag unserer Rasse auf der Suche nach dieser ‚Civilisation de L’Universel’. Und es wäre schon in höchstem Masse befriedigend, wenn wir derart lediglich unseren Beitrag geleistet hätten zur Befriedigung jenes menschlichen Bedürfnisses nach der Feier unserer Kultur, indem wir für uns selbst eine kurze Verschnaufpause schaffen angesichts der vernichtenden Anforderungen einer zunehmend instabilen Welt, ihrer negativen Entwicklungen, ihrer Jahreszeiten der Angst und der Bedrohung – einfach, um uns zwei, drei Tage zu wiegen im Bewusstein jener mutigen 50 Jahre alten Initiative, die darauf abzielte, eine verschlossene, imperiale und aggressive Welt von ihren rassistischen Beschränkungen zu befreien. 
     Es würde ausreichen, jenen Moment von vor 50 Jahren zu feiern, als die Bürger des Kontinents der Verachtung und Ihre Brüder und Schwestern in der Diaspora sich zusammentaten, um jene Doktrinen zu zerschmettern, auf denen die  Mission des Kolonialismus errichtet worden war, und um jene Heiligen Bücher - sowohl religiöser als auch philosophischer Art – herauszufordern, Dank deren Autorität der unmenschliche Handel  mit Menschen - sowohl der arabische als auch der europäische – gerechtfertigt worden war. 
     Eine solche Feier könnte sich auch darauf beschränken, allein die Euphorie des damaligen Ereignisses in Erinnerung zu bringen; eine solche Feier könnte aber auch gefolgt werden von der Nüchternheit des ‚Morgens danach’, wenn die Reflektion über dieses Ereignis einsetzt, und wenn die zum Ausdruck gebrachten oder impliziten Herausforderungen, die sich aus dem damaligen Ereignis ergaben, deutlich werden; wenn es darum geht, die Zukunft neu zu entwerfen, Haltungen neu zu justieren, die Selbstgefälligkeit durch eine neue Hingabe zur gemeinsamen Sache zu ersetzen, seine eigene Seelenruhe zu ersetzen durch die Herausforderung eines bekannten Imperativs: hier handelt es sich um eine Aufgabe, die auch nach 50 Jahren nicht bewältigt ist. 
     Die bloße Aussicht auf ein solches Treffen könnte aber auch ein Wachwerden für die gegenwärtigen, thematisch eng verbundenen Vorgänge provozieren, für Realitäten, die just jene Provokationen widerspiegeln; die, und dies in einem  keineswegs geringen Masse, die Notwendigkeit des ursprünglichen Zusammentreffens bildeten. Es handelt sich hier um Wirklichkeiten (Vorgänge), die den eingangs erwähnten Bulldozer geradezu als einen wohlwollenden Akt erscheinen lassen, da dieser Agent kultureller Auslöschung in der  Zwischenzeit längst Platz gemacht hat für das gepanzerte Fahrzeug, den Flammenwerfer, das Bomben säende Kampfflugzeug und die Splitterbombe. 
     Es handelt sich hier – um dies alles in die Gegenwart zu transportieren – um einen vorgeblich modernen Staat, mit  seinem massiven Waffenarsenal zur Erzwingung von Unterwerfung; an die Stelle des lokalen Einzelgängers ist getreten der moderne Staat, der in der Selbstgewissheit der Kontrolle über seine eigenen Staatsgrenzen handelt, in Verfolgung eines Vorhabens, mit dem die Demographie eines bewohnten Raumes, dessen Geschichte, seine kulturelle Einmaligkeit verändert werden sollen – kurz gesagt: es handelt sich hier um das Vorhaben, eine lebende Gemeinschaft auszulöschen. 
     In dieser Zeit, in der die Welt von den Vorgängen in anderen heißen Zonen auf dem Globus abgelenkt ist, wird ein solches Vorhaben auf dem schwarzen Kontinent in die Tat umgesetzt, und zwar mit der Komplizität der Herrscher dieses Kontinents. 
     Diejenigen, die das höchst zweifelhafte Privileg genossen, die Manifeste jenes Speerträgers eine staatlichen Politik ethnischer  Säuberung, der Janjaweed zu lesen - einer Agenda, bei der es ohne jede Beschönigung um die Arabisierung der sudanesischen Nation geht – werden zweifelsohne erschrocken sein angesichts  der nackten Sprache rassistischer Aufhetzung, der darin enthaltenen Behauptung der rassischen Überlegenheit der Araber, ergänzt um eine Diktion der Verachtung für und der Abscheu vor dem dort lebenden Afrikaner. Das war nicht ganz das, was  Senghor im Sinne hatte, als er in brüderlicher Weise die  arabité besang, als er sich für eine Nord-Süd-, eine  arabisch-afrikanische Zusammenarbeit der Kulturen aussprach: 
           ‚Ich spreche nicht einmal vom Arabismus...
           Ich spreche von der arabité, jener arabité;
           die das leuchtende Feuer der Werte des ewigen
           Beduinen ist.“
     Wir sehr wäre Senghor, der humanistische Idealist, wohl heute geschockt sein angesichts der Pervertierung seiner Vision, müsste er jene gegenwärtigen Traktate lesen, in denen ein Staat sich – mit Hilfe seiner Helfershelfer -  aufmacht, genau die von ihm ins Auge gefassten Partner einer optimistischen Unternehmung zu vernichten; wenn  ein Staat ganz gezielt die Eliminierung dieser kulturellen  Partner einsegnet, und zwar von Partnern – so finster ist die historische Ironie – die die ursprünglichen Bewohner dieses Landes waren, lange bevor die heutigen Prediger rassischer Überlegenheit, dort anlangten; sie, die Anhänger einer vernichtend-gefährlichen Wahnvorstellung, von der man gehofft hatte, sie sei durch das Wissen von den monumentalen rassistischen Verbrechen der Vergangenheit widerlegt worden – der arabisch-europäischen Versklavung von und dem Handel mit der Ware ‚schwarzer Mensch’,widerlegt durch die Jim Crow Kultur der Lynch Mobs und der Gesetze zur Rassentrennung in der ‚Brave new World’ des amerikanischen Festlands, widerlegt durch die Lektionen des Holocaust, die Verbrechen im Südafrika der Apartheid, und sogar durch die horrenden Ereignisse in Ruanda in  jüngerer Zeit. 
     Es ist eindeutig die Absicht der sudanesischen Regierung, diese Rekorde der Schandhaftigkeit zu überbieten, und die Welt scheint zu akzeptieren, dass die Regierung des Sudan es verdient hierbei erfolgreich zu sein; die Welt scheint zu akzeptieren, dass die Regierung des Sudan richtig handelt und dass eine afrikanische Nation ihren Namen der langen  Liste rassistischer Infamie anfügt. Genießen Sie die brutale  Direktweit und Präzision der Direktiven wie sie in den authentischen Dokumenten enthalten sind, so wie sie  im Hauptquartier eines gewissen Sheik Musa Hilal, dem anerkannten Führer der Janjaweed gefunden wurden:
       „Verändern wir die Demographie von Darfur:
       Entleeren wir die Region all ihrer afrikanischen Stämme.“
     Die Nation, die wir als Sudan kennen, gehört zwei Familien der Weltgemeinschaft an – der arabischen und der afrikanischen.  Mit globaler Zustimmung haben sich diese beiden Familien  jeweils eine Struktur gegeben, als ‚Arabische Liga’ und als  ’African Union (AU)’. Es ist erschütternd mitansehen zu müssen, wie die eine Familie – nämlich die arabische – eine gezielte Indifferenz gegenüber dem kriminellen Verhalten eines  ihrer Mitglieder zeigt, gegenüber eine Nation, die in Folge  historischer Entwicklung als kulturelle Brücke zwischen zwei Rassen zu dienen hätte, genau so wie in Leopold  Senghors kultureller Architektur die arabische Welt Nordafrikas die Brücke zwischen Afrika und Europa bildet. 
     Nun legt die afrikanische Familie ihrerseits, was diesen Konflikt angeht, eine schändliche Untätigkeit an den Tag, die eine Wiederauflage einer historischen Entwicklung zulässt, die die Ketten kolonialer Unterwerfung schmiedete. Es existiert
jedoch eine dritte, alles überragende Familie, die sich über beide Familien spannt – das sind die Vereinten Nationen.  Wenn nun ein Zweig dieser Familie der Nationen gegen  die grundlegenden Normen menschlichen Anstands verstößt, ja sich geradezu daran ergötzt, diese aufzugeben, kann es  da noch irgendeine Rechtfertigung für die entschuldigende  Ausrede geben, „laut Protokoll müsse man zunächst einmal die Zustimmung“ dieser arroganten und herausforderndenNation „erbitten“, einer Nation, die vor dem Gerichtshof der universellen Verdammnis längst für schuldig befunden  worden ist - bevor die große Familie (die UN) sich aufmacht,  ihre missbrauchten, vergewaltigten und entmenschlichten Opfer zu retten?
     Es ist schon seltsam, dass dieses Alibi für NichtstunKeineswegs zitiert wurde, bevor die Weltgemeinschaft sich daran machte, im früheren Jugoslawien zu intervenieren, eine Intervention, die nicht nur ein verbrecherisches Regime auf die Knie zwang sondern auch die Rückkehr und die Rehabilitierung der verstreuten Bevölkerungsgruppen ethnischer Albaner und islamischer Kroaten überwachte. Das blitzschnelle Eingreifen mit dem die Vereinten Nationen auf den jüngsten Krieg im Nahen Osten und seine Folgen reagierten, mag sich zwar daraus erklären, dass die Kontrahenten bereit waren, ein Abkommen einzugehen, ja selbst die Anwesenheit von Friedenserzwingern von den Vereinten Nationen herbeiwünschten; wir sehen uns aber der beispielhaften Tatsache gegenüber, dass die Weltgemeinschaft in Zentraleuropa gegen den hartnäckigen Widerstand des mörderischen Regimes intervenierte. 
     Wenn wir dies konstatieren, stellt sich die Frage: zu welcher Kategorie gehört dann die Situation in Afrika  eigentlich? Sind Afrikaner Gleichberechtigte angesichts der  familiären Strukturen der Rechte und Verantwortlichkeiten, oder sind die Afrikaner – auch fünfzig Jahre nach der ersten organisierten Herausforderung der rassistischen Ordnung – stets noch die marginalisierten Opfer der Geschichte?
     Die ‚African Union’ liefert die Menschen in Darfur praktisch ihrem Los aus, sie liefert sie der Willkür der mordenden, vergewaltigenden, brandschatzenden Prediger einer rassistischen Doktrin aus. Wir sprechen hier von einer Nation, in der die Massenvergewaltigung geradezu als Erfüllung von Senghors Vision der kulturellen métissage angeboten wird. Hier handelt es sich um das  eindeutig sichtbare Profil eines Regimes, das seinen Truppen  die Einsatzbefehle erteilt hat, ihnen die Ausnahmegesetze  vorgelesen und sein Ultimatum gesetzt hat; und die afrikanische Familie hat beschlossen zu gehorchen - mit dem Schwanz zwischen den Hinterpfoten.
     Der arabischen Familie obliegt – ungeachtet ihrer Platzierung auf dem Schwarzen Kontinent – die oberste moralische Pflicht, ihr Mitglied Sudan zur Ordnung zu rufen; tatsächlich aber hat sich die arabische Familie bislang hartnäckig geweigert, Sudan zurecht zu weisen, ja sie hat sogar Sanktionen gegen Sudan alle nur denkbaren Hindernisse in den Weg gelegt. 
     Mit welchem Recht aber bürdet der Autor dieser Zeilen der arabischen Welt diese Pflicht auf? Mit keinerlei Recht, es sei denn dem Recht, das sich auf der Autorität der Protagonisten arabischer Kultur selbst gründet, auf ihren historischen Ansprüchen, wie etwa denen des selbsternannten Arabisten, des damaligen sudanesischen Premierministers Ismail Al-Azhari, der 1965 die folgende Erklärung abgab:
       “Wir sind stolz auf unsere arabische Herkunft,
       auf unseren Arabismus und darauf, Muslime zu
       sein. Die Araber kamen auf diesen Kontinent als
       Pioniere, um eine echte Kultur zu verbreiten wie auch
       gesunde Prinzipien, die bereits Aufklärung und Zivilisation
       überall in Afrika verbreiteten, als Europa noch im
       tiefen Abgrund der Dunkelheit, Unwissenheit und
       doktrinärer wissenschaftlicher Rückständigkeit
       versunken war. Unsere Vorfahren waren es, die
       die Fackel hoch hielten und die Karawane der
       Befreiung und des Fortschritts anführten; und sie
       waren es, die einen überlegenen ‚melting-pot’ für
       griechische, persische und indische Kulturen
       anboten, ihnen die Chance boten, mit allem, was
       in der arabischen Kultur nobel war, zu interagieren;
       unsere arabischen Vorfahren waren es, die das
       Resultat dieses Austauschs der Welt zurückgaben, als
       Anleitung für all jene, die darauf abzielten, die Grenzen
       des Wissens zu erweitern.“
    Diese – ungeachtet ihrer übertreibenden Akzente – hehre Erklärung hätte Leopold Sedar Senghor ohne Zweifel als  seiner Idee von der arabité gemäß unterschrieben, und diese Erklärung wurde weniger als ein Jahrzehnt nach dem ersten  Treffen schwarzer Schriftsteller und Künstler gemacht, und sie wurde ebenfalls gemacht aus dem Bedürfnis, die arabische  Rasse und ihr kulturelles Erbe in einer rassistischen Welt  zu positionieren. Doch das Bestehen auf den Werten der  schwarzen Zivilisation klang auf dieser Konferenz nicht weniger voll, nicht weniger stolz; die Mission, das rassische  Selbstbewusstein zu stärken wurde nicht weniger leidenschaftlich vertreten. 
     Und deshalb ist die Frage, die wir heute der sudanesischen Regierung stellen müssen, einfach die: wie verträgt sich das heutige Manifest der Janjaweed, der Bannerträger des Arabismus, wie verträgt sich deren Projekt kultureller Auslöschung mit Al-Azharis Manifest der Aufklärung – um nur dieses eine zu nennen? Studieren Sie die Bände mit den Zeugenaussagen der Untersuchungskommissionen der Vereinten Nationen, studieren sie auch die Dossiers, die in ganz präzisen Anklagen gegen namentlich benannte Personen in der sudanesischen Regierung und im autonomen Orden der Janjaweed mündeten – den Seelengenossen der Milosevics, der Karasics und Radkos Osteuropas – und dann sagen Sie mir, ob das hehre Banner der Aufklärung Al-Azharis nicht durch seine hitleristischen Apostel beschmutzt worden ist! 
     Und die afrikanische Familie in all dem? Ich beziehe mich hier auf die Familie des humanistischen Idealismus, von dem die Poeten und Philosophen sangen oder predigten – Aimé Césaire, Léon Damas, Marcelino dos Santos, John Mbiti.  Ogotimeli. Tierno Bokar und viele andere. War ihre Botschaft nicht die, dass der afrikanische Humanismus eine Sorge für und eine Verantwortung ‚gegenüber deinem Nächsten’  beinhaltet? Und endet diese Verantwortung etwa bei der  Rhetorik der Macht und der Ware Kompromiss? Dieser afrikanischen Familie, die nach der Gleichberechtigung ihrer Kultur mit der egal welcher Rasse auf der Welt strebt, stellen wir die Frage: 
     hat diese Familie irgendeine Anstrengung gemacht, um dieses abtrünnige Mitglied offen zu brandmarken oder aus der Familie zu verstoßen? 
     Was läuft hinter verschlossenen Türen bei diese privaten  Treffen ab, wenn die Mitglieder der afrikanischen Familie sich im Rahmen von NEPAD mit der sogenannten ‚peer-review’ beschäftigen, und weiteren hochgelobten Strukturen, mit deren Hilfe eine gewissen Zurückhaltung gewährleistet werden soll?  Sind diese Treffen nicht eine kalte Enttäuschung für diejenigen;denen jeden Tag Gewalt angetan wird, die in den heißen und  körnigen Winder Darfurs darum kämpfen, ihre Lumpen am Körper zu behalten; die unter einer erbarmungslos brennenden Sonne nach einem Tropfen Wasser lechzen; die um die Haufen trockenen Grases für ihre Kamele kämpfen, die den wütenden Angriffen der Janjaweed entkamen. Und wenn sie dann – aus lauter  Verzweiflung – ihre Camps verlassen, um irgendwo ein nahrhafteres Futter zu finden, stürzen sich dann nicht die Janjaweed  auf sie, um sie zu abzuschlachten, zu vergewaltigen, zu verstümmeln und sie des letzten Fetzens ihrer angeborenen Menschenwürde zu berauben?
     Unser aller Familie, die Vereinten Nationen, die immer und  immer wieder gezwungen war, zu schwören: ‚NIE WIEDER!“,  sie trifft sich in ihrer Impotenz und debattiert steril daher.  Versiegelte Anklagen gegen genau identifizierte Verbrecher
gegen die Menschlichkeit sind bewundernswert, doch sie  rsetzen nicht die Eindeutigkeit und die Ehrwürdigkeit der Vorbeugung. Nicht ein einziges Mitglied der UN Familie hat bislang seine Unzufriedenheit dadurch bekundet, dass es  sudanesische Diplomaten seines Landes verwiesen hätte.  Nicht ein Mitglied der Welt-Familie hat bislang verlangt, dass gegen die Jauchegrube krimineller Straflosigkeit im Sudan Sanktionen verhängt werden. 
     Über Jahrzehnte wurde Libyen als Pariah der internationalen Gemeinschaft behandelt, wegen der Annahme oder des Beweises seiner Beteiligung an terroristischen Handlungen und der Unterbringung von Terroristen innerhalb seiner Grenzen – Libyen wurde geächtet. 
     Welche größere Dimension an staatlichem Terrorismus benötigt die Welt eigentlich noch, um tätig zu werden, wenn eine Regierung ihre bis über die Zähne bewaffneten Helfershelfer nicht nur loslässt sondern auch massiv unterstützt, ausrüstet und durch ihre eigenen Streitkräfte und Geheimdienste unterstützt; wenn die Beweise für eine vom Staat eingesegnete ‚ethnische Säuberung’ vorliegen, derartige Vorkommnisse von Zeugen belegt sind, von Organisationen der Vereinten Nationen vor Ort festgestellt und berichtet wurden; wenn die Folgen  dieser Handlungen in die sudanesische Landschaft  eingebrannt sind, und zwar als: Massengräber, Ruinen  niedergebrannter Dörfer, vergiftete Quellen, hingeschlachtete Herden, wie auch in der dauernd wachsenden Zahl verstümmelter Überlebender, der Opfer von  Massenvergewaltigungen, von überfüllten Flüchtlingslagern;in denen Massenerkrankungen herrschen. 
     Worte sind unsere Werkzeuge, und Schriftsteller merken rasch, wenn ein Wort ob seiner Abwesenheit oder Vermeidung laut hinausschreit. Welches ist dann jenes Wort, das die  Vereinten Nationen wieder einmal sorgfältigst umschiffen(vermeiden)? 
     Ein Vermeiden, eine moralische Unterlassung, die in  jüngerer Zeit die Ereignisse in Ruanda auslöste? Die  Protokolle sind eindeutig. Sie belegen eindeutig eine gewisse Dimension verbrecherbischen Verhaltens gegen ein Volk, seine Kultur, ja gegen die physische Existenz des Volkes von Darfur, die die Vereinten Nationen zum Handeln zwingen. Aber nein, Darfur liegt nicht im Herzen Europas.  Darfur ist nicht das Herz Libanons und liegt nicht an den Grenzen  Israels. Darfur liegt in einem der Verachtung anheim gegebenen Land, bekannt allein als die Heimat des Mangels und – gelegentlich – als ein Ort mit großen natürlichen Vorkommen. 
     Wie heißt also dieses Wort, welches anklagt, verdammt, und  das sich nicht zum Schweigen bringen lässt? Wie heißt dieses Wort, für das so viele Ersatzbegriffe angehäuft werden, und  das doch des ihm enthaltenen Imperativs beraubt wird, und zwar in den Korridoren und Sälen der Vereinten Nationen? 
     Als Schriftsteller können wir nicht aufhören, uns unserer Aufgabe zu stellen, eskapistische Geister auszumachen und  bloßzustellen. Diejenigen, die heute leben und die diese erneute Perfidie bezeugen, wie auch ihre geborenen oder  noch ungeborenen Nachfolger, deren Aufgabe es ist, zu warnen und zu bezeugen, werden es nicht vergessen. Mögen diejenigen, deren Aufgabe es ist, die Schwachen und Hilflosen, die zeitweise Heimgesuchten zu beschützen, wenigstens Worte mobilisieren; mögen Sie darauf beharren,  Ihnen, die die Kontrolle über die Zukunft des Kontinents innehaben, zu sagen: die Zukunft wird nicht vergessen und sie wird nicht vergeben. 
     Während die Heere des sudanesischen Staates sich zum Endkampf in ihrem seit langem beschlossenen Vorhaben rassischer Vernichtung sammeln, wird diese Zukunft Sie,  einen Jeden von Ihnen und Sie alle zusammen, brandmarken  als Kollaborateure und Mittäter, wenn Sie das Volk von Darfur seinem schrecklichen Schicksal überlassen, das so schrecklich blendend seinen Namen in die flehenden Dünen und Hügel  Darfurs ritzt:

                            G E N O Z I D !

Copyright Originaltext bei: Wole Soyinka
Copyright Übersetzung bei: Gerd Meuer